Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
fast siebenhundert Jahren. Doch die Wiederholung ließ sich nicht leugnen. Langley hatte sie abgelegt, ohne einen zweiten Gedanken an sie zu verschwenden. Sie weinte nicht. Sie hatte seit Jahrhunderten nicht mehr geweint. Sie starrte nur in den Spiegel, als könnte ihr Gesicht ihr verraten, ob es irgendeine Lösung gab.
Es gab keine.
Kapitel 7
E ine Welle schlug über die Bootswand, durchnässte Johns Hosen und Stiefel und tränkte sie mit dem Geruch der See. Die Vengeance erhob sich gegen das Licht der untergehenden Sonne und einen Himmel, an dem sich Wolken türmten, die Regen ankündigten. Gischt benetzte sein Gesicht. Er bewegte sich mit der Dünung, um das Gleichgewicht zu halten. Seine Hände waren ihm mit schweren Eisenschellen auf den Rücken gebunden worden. Er war gefesselt für das Fegefeuer in Gestalt eines Schiffes, das seiner Masten und Segel beraubt worden war und jetzt im Hafen vor sich hin dümpelte, vollgepfercht mit dreimal so viel menschlicher Fracht, wie seine Erbauer es vorgesehen hatten.
Wenn eine Fregatte nicht mehr seetauglich war, wrackte die Navy sie entweder ab oder demontierte die Masten und nutzte sie als Gefängnisschiff. Diese Schiffe wurden gemeinhin auch Gefängnishulk genannt. Die Vengeance hüpfte missmutig in der Dünung des heraufziehenden Sturmes auf und ab. Den Engländern gefiel der Gedanken nicht, dass sie feste Gefängnisse brauchen könnten. Die meisten englischen Gefangenen warteten lediglich auf ihren Transport in die Botany Bay, und die französischen Gefangenen würden nach Frankreich entlassen werden, sobald der Krieg erst gewonnen war. Warum also sollte England Geld für den Bau von Gefängnissen ausgeben, nur um diese Menschen durch die gegenwärtige Krise zu bringen? Krise folgte auf Krise, und der Krieg mit Frankreich zog sich hin. Also füllte man die Lücke mit Schiffen. Gab es einen besseren Ort, um Gefangene zu verwahren, als mitten auf dem eiskalten Wasser und auf begrenztem Raum, der gut zu bewachen war?
Die vier Wachleute legten sich in die Riemen des Ruderboots und manövrierten es neben die Fregatte. Alles wirkte ruhig so spät am Abend. Die Schießscharten waren geschlossen und die Decks leer bis auf die Wachen, die längsschiffs patrouillierten. Licht brannte nur auf dem Achterdeck, dort, wo der Kommandant dieser Abscheulichkeit und die Wachen sich hinter schweren, eisenbeschlagenen Eichenholzbohlen vor ihren Schutzbefohlenen verbarrikadiert hatten. Unter Deck hausten unter erbärmlichen Umständen fünfhundert Gefangene, die sich selbst überlassen waren. Das Ruderboot stieß längsseits gegen das Gefängnisschiff, dessen Rumpf von Seegras und Seepocken bedeckt war.
Johns Mission nahm erschreckende Gestalt an. Gott sei Dank hatte Barlow einen Wachmann an Bord informiert, der für seine wahre Identität bürgen und ihm den Rücken freihalten würde. Die Gefangenen auf diesen Schiffen starben an Hunger oder Krankheiten, aber auch durch Gewalt durch die Mitgefangenen wie vonseiten der Wachen. John begann bereits, diesen gesichtslosen Faraday als seinen Rettungsanker zu betrachten.
Die Wachen lösten seine Fußfesseln nicht, sodass er die Treppe an der Flanke des Schiffes nicht hinaufsteigen konnte. Einer der Ruderer rief laut etwas zu Männern hinauf, die nicht zu sehen waren. An einem Ausleger wurde jetzt ein Seil mit einem Haken daran heruntergelassen. Sie schoben ihm den Haken unter einen Arm und gaben ein Zeichen. Das Seil spannte sich, und John wurde gewaltsam an Bord gehievt. Sein Gewicht zerrte an seiner Schulter.
An Deck angekommen, brach er in die Knie; dabei hörte er eine raue Stimme: »Nun, was haben wir denn da? Den neuesten Franzmann, der seine Lektion lernen will?« Er hob den Kopf und sah in ein feistes englisches Gesicht, das von derber Herkunft zeugte. Wulstige Lippen, trübe Augen und ziemlich große Ohren, all das aus einer englischen Marineuniform herausragen, die zwei Kleidergrößen zu klein aussah. Der Grobian riss sein Knie hoch und stieß es gegen Johns Kinn. John torkelte über das Deck. Undeutlich hörte er den Kerl sagen: »Zieht ihm die feinen Kleider aus und nehmt ihm die Stiefel weg. Die werden in der Stadt ein paar Schillinge einbringen.«
Panisch dachte John an das Pflaster, mit dem der Beutel aus Öltuch flach auf seine Brust geklebt war. Zwei Gestalten tauchten vor ihm auf. Eine zerrte an seinen Stiefeln, die andere öffnete seine Handfesseln. Als seine Hände frei waren, stand der Wächter auf und trat ihm in
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