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Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)

Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)

Titel: Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Squires
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Mal wand sich der Wurm des Zweifels durch Johns Herz. Sein Plan, Dupré zu finden, ihn zu überreden, den Namen der zentralen Figur hinter dem französischen Geheimdienst zu nennen, und dann zu fliehen, erschien ihm nun ein wenig naiv. Und Gott wusste, dass Naivität in der Vergangenheit sein Verderben gewesen war. Nun, wenn er versagte, würde er einfach zu Faraday gehen und …
    Er würde nicht versagen. Er würde nicht darum bitten, vom Schiff gebracht zu werden, ganz egal, wie schlimm es hier wurde. Er konnte Barlow nicht im Stich lassen, und er konnte England nicht im Stich lassen. Wenn die französischen Spione freie Hand hatten, wie weit wären sie dann von einer Invasion und Niederlage entfernt? England war das einzige Hindernis zwischen Bonaparte und dem Rest von Europa.
    Er zog die Decke fester um seine Schultern und versuchte, an etwas anderes zu denken als an das Heben und Senken seines Magens. Das Bild Beatrix Lisses tauchte vor ihm auf; ihr Haar wie Kohlen, die leicht rötlich schimmerten, und ihre Augen, die normalerweise so desinteressiert und gelangweilt wirkten, aber aufglühten, wenn sie provoziert wurde … Er lächelte. Oh, sie würde ungefähr jetzt wütend auf ihn sein. Würde sie erfahren, dass er ihre Verabredung wegen eines Boxkampfes verschoben hatte? Er zweifelte nicht daran. Und er könnte ihr niemals einen anderen Grund nennen. Aber es würde auch keine Rolle spielen. Eine Frau wie sie würde keinen Grund gelten lassen, warum er seine Verabredung nicht hatte einhalten können. Wenn er zurückgekehrt war, würde sich ihr offensichtlich unberechenbares Interesse jemand anderem zugewandt haben.
    Es war das Beste so. Ein Mann wie er hatte nichts zu schaffen mit den Frauen aus Covent Garden. Beatrix Lisse war natürlich das, eine Kurtisane. Sie unternahm keinen Versuch, das zu verbergen. Aber sie hatte mehr Verstand zu bieten, mehr Geheimnisse, mehr emotionale Intensität irgendwo hinter ihrer nonchalanten Fassade als jede andere Frau, der er jemals begegnet war. War sie eine Spionin? Es war sinnlos, darüber zu spekulieren. Sie würde ihn jetzt ohnehin nicht mehr nah genug an sich heranlassen, um das herauszufinden. Das würde er Barlow überlassen müssen. Der Gedanke, dass sie ihn nie wieder empfangen würde, war jedoch deprimierend.
    Sein Magen gewann einmal mehr die Oberhand. John stellte sich auf eine lange Nacht ein.
    Dass es Tag geworden war, merkte John einzig daran, dass die Gefangenen zum Zählappell aufs Toppdeck hochgescheucht wurden, Deck für Deck. Er hatte die ganze Nacht in dem dunklen Gestank des untersten Decks vor Kälte gezittert. Am Morgen war kaum noch Luft zum Atmen übrig gewesen. Deshalb fühlte sich der frische Wind, der über das Deck der Vengeance wehte, trotz der Kälte, die sich durch seine Knochen fraß, himmlisch an. Seine Mitgefangenen waren ein zerlumpter Haufen. Einige der gelben Baumwollanzüge waren so verblichen, dass sie fast weiß waren. Jeder trug die Initialen T. O. für »Transport Office«. Einige der Gefangenen waren nackt oder fast nackt. Man hätte sie mit ihren Bärten und den verfilzten Haaren für Verrückte halten können. Ob sie ihre Kleider für Essen eingetauscht hatten oder ob sie ihnen gestohlen worden waren, war unmöglich zu sagen. Die Gefangenen waren ausgemergelt, einige wirkten fast wie Gespenster. John schaute sich auf dem Deck um, das vollgepfercht war mit schweigenden Männern. Die Wachen waren ein missmutiger Haufen Seeleute, die als untauglich eingestuft worden waren, weiter zur See zu fahren. Sie waren der Abschaum der Navy. Welcher von ihnen war Faraday?
    Ein kleiner Offizier, der fast so rund wie hoch war, ging zum Rand des Achterdecks. Seine Uniform war an jeder erdenklichen Stelle mit Goldkordeln besetzt, und an seinem Hut trug er eine riesige Rosette aus Gold. Es ließ ihn nur noch weniger elegant aussehen, als er vermutlich hoffte. Er trug jedoch nicht die Epauletten eines Kapitäns. Ein Lieutenant seines Alters, der es nicht zum Kapitän gebracht hatte, würde es nie mehr schaffen. Das konnte aus einem ehrgeizigen Mann einen bösen Mann machen.
    »Ist das unser Kerkermeister?«, wisperte John dem Mann zu, der rechts neben ihm stand.
    »Lieutenant Rose.« Der Franzose spie den Namen regelrecht aus.
    John sah ihn an, als er die Stimme erkannte. »Reynard?«
    Der Mann nickte. Er war von hoher Statur und hatte eine Nase, die viel zu groß war, sowie einen großzügigen Mund, der seinem Gesicht einen ehrlichen Ausdruck

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