Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
über uns, Bea.« Sie klang traurig. »Ich weiß das besser als du.«
»Stephan nicht. Er will uns befähigen, um in dieser Welt leben zu können. Es ist ein Geschenk.«
»Alle Männer wollen Macht, Bea, selbst Stephan.« Asharti sagte es mit einer Art letzten Gewissheit. Ihre Augen blickten hart. Sie wandte sich um und sah Beatrix an, ihr Blick wurde weicher. »Oh, er hat mir etwas geschenkt, das gebe ich zu. Er hat mich gelehrt, keine Angst zu haben. Ich dachte, ich würde mich immer fürchten müssen.«
»Fürchten wovor?«, wisperte Beatrix.
Ashartis Blick glitt zurück zum Feuer. »Vor ihnen.« Beatrix wusste nicht, wen sie meinte, konnte aber nicht danach fragen. Nicht, wenn so viel Wut in Ashartis Augen lag. Asharti fasste sich. »Du musst dich selbst finden, Bea, nicht nur das sein, was er will.«
Es erschien so erhaben. Asharti schien so sicher zu sein. Hilflos starrte Beatrix Asharti an.
»Nur dann wirst du ihm ebenbürtig würdig sein …«
Beatrix fühlte sich, als hätte man sie geschlagen. Sie blinzelte Asharti an. Dass Asharti rebellierte, machte sie Stephan ebenbürtig. In diesem Moment empfand Beatrix nichts als Bewunderung, ja, sogar Respekt für Asharti. Asharti wusste Dinge, an die sie noch nicht einmal gedacht hatte. Sie schwor sich, Stephan ebenbürtig zu sein, und Asharti, weil sie ihrer Mutter nicht ebenbürtig gewesen war. Aber innerlich wuchsen die Zweifel wie ein Geschwür. Würde es ihr gelingen?
»Komm, du zitterst ja«, winkte Asharti ihr zu. »Komm zu mir unter die Decke.«
Beatrix schüttelte sich. War jene Nacht der Anfang ihrer verlorenen Unschuld gewesen?
Es stimmte, vor jener Zeit bei Stephan hatte sie Leben genommen wie ein wildes Tier. Aber ein Tier ist unschuldig. Es tötet, um sich zu verteidigen, und weil es fressen muss, um zu leben. Bevor sie Stephan begegnet war, hatte sie Richtig und Falsch nicht unterscheiden können. Stephans Lektionen waren der Anfang von ihrem Ende gewesen. Oder vielleicht war es Asharti gewesen. Beatrix hatte sich von Asharti bis fast in die Zerstörung führen lassen. Für beide war der Hunger nach Blut mit sexuellem Verlangen vermischt gewesen. Alles, was Beatrix tun konnte, war, es zu unterdrücken, damit sie nicht so wurde wie Asharti. Sie hatte es gelernt, in all diesen Jahrhunderten. Sie hatte gelernt, das Verlangen zu unterdrücken. Sie schloss die Augen.
All dieses Gerede über die zweite Unschuld hatte die Erinnerung an Stephan und Asharti zurückgebracht. Beatrix zupfte die Vorhänge zurecht, dann wandte sie sich um und lehnte sich gegen das Fenster. Es war Langleys Schuld.
Er passte zu ihr. Sie mochte das. Vielleicht hatte er recht. Vielleicht brauchte sie einen Mann, den sie nicht herumkommandieren konnte.
Was dachte sie da? Was sie brauchte, war eine Reihe junger Männer, die ihr die Kehle darboten. Sie durfte nichts weiter riskieren als unkomplizierte Bewunderung. Sie konnte sich nicht mit Männern wie Langley einlassen. Er würde mehr verlangen als Spielerei. Er war die Art Mann, die eine Frau besitzen wollte – ihren Körper, ihr Herz und ihre Seele.
Gegen alle Vernunft freute sie sich auf den Ausritt mit ihm morgen Abend in der Dunkelheit. Sie atmete tief durch. Ein. Aus. Natürlich konnte sie nicht mehr erwarten als vielleicht eine Woche des Interesses. Auf mehr würde sie nicht hoffen. Vielleicht eine Woche ohne Erinnerungen oder Ohnmachtsanfälle. Sie kuschelte sich in ihrem Bett zusammen, während der Märzwind draußen vor ihrem Fenster wisperte.
John kehrte nach Albany House zurück, als das erste Morgenlicht durch den braunen Londoner Dunst blinzelte. Die Masten der Schiffe, die im Süden die Themse bevölkerten, erhoben sich zwischen den Kirchturmspitzen. Schon waren die Straßen voller Straßenhändler und Handwerker, die den stürmischen Tag begannen. Er war die ganze Nacht hindurch gelaufen. Er hoffte, der Wind würde sich tagsüber legen, sonst würde sie ihre Verabredung womöglich nicht einhalten. Man stelle sich eine Frau vor, die des Nachts ausreitet! Er hatte keine Zweifel daran, dass ihr Pferd von edler Rasse und mehr als nur elegant war, und dass sie allein kommen würde, ohne einen Pferdeknecht.
War er verrückt? Er hatte nicht den Wunsch, sich noch einmal mit einem Albtraum wie Pauline Bonaparte einzulassen. Die Informationen, die er Pauline letztes Jahr auf Sizilien zugespielt hatte, hatten ihren Bruder in Bezug auf die wahre Größe und den Mut von Wellingtons Streitmacht in Portugal getäuscht,
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