Der Ruf des Abendvogels Roman
Tadd.
Es war nicht das erste Mal, dass Tara in Neridas Blick Unwillen aufkommen sah, wenn Tadd etwas sagte. Sie selbst jedoch hatte Nerida nicht kränken wollen. »Ich denke, jedes Volk isst Dinge,die anderen Kulturen seltsam erscheinen. Wenn man zum Beispiel an die Engländer und ihren Hotdog, den so genannten ›heißen Hund‹, denkt ...«
Nerida begann zu kichern. »Ich wusste gar nicht, dass sie Hunde essen! Nicht sehr lecker ...«
»Es ist auch gar kein richtiger Hund, Nerida, sondern ein Würstchen, das in Teig eingebacken wird«, erklärte Victoria.
»Und ein ›schwarzer Pudding‹ ist kein Pudding, sondern eine Blutwurst!«, ergänzte Tara. »Dann gibt es noch ›Tripe‹, ein Stück vom Magen einer Kuh, und ›Chitterlings‹, Schweineinnereien.«
Nerida wirkte einigermaßen irritiert, und Jack starrte noch misstrauischer auf sein Fleisch.
Um ihn zu ermutigen, nahm Tara selbst einen Bissen von ihrem Vindaloo. Gleich darauf schien ihre Miene zu versteinern: Ihr Mund fühlte sich an, als würde er brennen. Sie kaute und schluckte hastig alles hinunter, um dann ihr Glas Wasser fast in einem Zug hinunterzustürzen. Ihr Gesicht war über und über rot angelaufen. Jack sah sie an und schob seine kleine Portion Fleisch an den Rand seines Tellers.
»Oh Tante Victoria, dieser Curry ist wirklich furchtbar scharf«, meinte Tara nach Luft ringend. Tränen traten ihr in die Augen, während auf ihrer Stirn und dem Nasenrücken Schweißperlen erschienen. Jack würde das Gericht nicht essen können, Hannah hatte zum Glück nichts davon auf ihrem Teller.
»Man gewöhnt sich daran, Tara! Ich erinnere mich noch an mein erstes Currygericht – ich dachte, ich könnte nie wieder so etwas essen, aber mittlerweile mag ich es sehr gern, und Tadd ebenfalls. Iss am besten etwas von dem Fladenbrot dazu, das nimmt dem Fleisch die Schärfe.«
Tara nahm sich vor, Sanja darum zu bitten, in Zukunft mit den Gewürzen etwas zurückhaltender zu sein.
»Sanja ist es gelungen, ein paar von den Gewürzen, die er benutzt, selbst zu ziehen«, sagte Victoria. »Seine Chili-Sträucher zum Beispiel sind ein voller Erfolg. Sie brauchen wenig Wasserund bringen mit ihren roten, grünen und gelben Schoten viel Farbe in den Garten!«
Tara konnte sich nicht entsinnen, im Garten Chilis gesehen zu haben – schon gar keine grünen und gesunden Büsche. Aber wahrscheinlich waren sie vom Flurfenster aus einfach nicht zu sehen gewesen.
»Ich finde jedenfalls, dass er viel zu viel Chili in dieses Gericht getan hat«, sagte sie, nachdem sie ihr Glas restlos geleert hatte, das Nerida sogleich wieder nachfüllte. Doch so viel sie auch trank, ihr Mund hörte nicht auf zu brennen.
Victoria probierte einen Bissen Fleisch und wandte sich dann an Nerida. »Das ist ja Lamm«, stellte sie erstaunt fest.
Das Mädchen war plötzlich verlegen. »Es war kein Rindfleisch mehr im Kühlhaus, deshalb musste Sanja Lamm nehmen«, erklärte es.
»Warum ist denn kein Rindfleisch mehr im Kühlhaus, Tadd?«, fragte Victoria, an ihren Verwalter gewandt.
Dieser wirkte leicht unbehaglich. »Charlie hat noch keine Zeit gehabt, einen Stier zu schlachten«, erwiderte er knapp.
Victoria war noch immer irritiert, doch sie schwieg.
»Meine Tante hat mir erzählt, dass Sie schon einige Jahre hier in Tambora sind, Mr. Sweeney«, sagte Tara, als sie wieder zu Atem gekommen war. Der Curry brannte jetzt hinten in ihrer Kehle, und sogar ihre Stimme schien ihr leicht verändert zu klingen.
Er blickte lächelnd auf und erklärte zwischen zwei Bissen: »Richtig – ich gehöre sozusagen zur Familie.«
»Tom hat das Land von Tadds Vater gekauft«, sagte Victoria. »Und seitdem ist er immer hier bei uns gewesen!«
Tara sah, wie Tadd ihre Tante mit einem warmen Blick bedachte und Victoria die Hand tätschelte. Das diente sicher dazu, seine Position zu festigen – Tara fand die Geste jedoch zu vertraut für einen Angestellten.
»Ich weiß nicht, was ich nach Toms Tod ohne ihn getan hätte«, sagte Victoria und erschien ihr plötzlich sehr verletzlich.
»Du hättest es sicher auch so geschafft«, meinte Tadd, der gönnerhafte Unterton in seiner Stimme war Tara nicht entgangen.
»Nein, jetzt nicht mehr«, gab Victoria leise zurück. »Du leitest die Farm ja praktisch ganz allein!«
Tara nahm den Schmerz in dem Auge ihrer Tante wahr. Die Traurigkeit, die aus Victorias Stimme klang, schnitt ihr ins Herz. Es war nicht schwer zu sehen, wie sehr ihre Tante darunter litt, nicht mehr
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