Der Ruf des Abendvogels Roman
scheinen überhaupt keine Probleme zu kennen«, fuhr sie fort.
»Ich komme aus einer wohlhabenden Familie«, räumte er ein, auch wenn er mit seiner Familie im Moment kaum Kontakt hatte.
»Ihr Geld wäre an anderer Stelle sicher besser angelegt, aber ich bin erleichtert, dass Sie sich nicht in einer Notlage befinden, Mr. Magee. Wenn Sie mir nämlich aufgelauert hätten, um mich um Geld zu bitten ... ich hätte Ihnen nicht einen Penny meines Erlöses gegeben.«
Fast hätte er laut gelacht. »Ich will Sie nicht kränken, Madam, aber ich kann Ihnen versichern, dass ich Ihr Geld nicht benötige. Ich will nur die Geschichte, die hinter ihrer Verkleidung steckt. Ich habe den Eindruck, dass sie sehr unterhaltsam sein muss, und bei meinem eintönigen Leben wäre ich für etwas Spannung und Aufregung sehr dankbar.«
Morna hob ihre dunklen, schön geschwungenen Augenbrauen und überlegte sichtlich, warum sein Leben eintönig sein sollte.
»Bitte, sagen Sie mir doch, wie kann der Verkauf dieses einen Bildes Ihr Leben verändern?«, bat er.
Morna hob den Kopf und starrte aus dem Fenster, innerlich betend, dass sie bald am Merrion Square sein würden. »Ich sehe keinen Grund dafür, Ihnen überhaupt irgendetwas zu erzählen!«
»In diesem Fall werde ich Ihnen sagen, was ich zu wissen glaube.« Riordan hatte in Gedanken alles zu einem Ganzen zusammengefügt. Seine Beobachtungen ebenso wie das, was sie ihm erzählt hatte, und seine Vermutungen über das, was sie ihm verschwieg.
»Ihre Haut ist nicht so makellos weiß wie die von bestimmten Ladys, die sich zum Teetrinken und Bridgespielen in ihren Häusern verstecken; deshalb nehme ich an, dass Sie viel Zeit im Freien verbringen. Das wiederum führt mich zu dem Schluss, dass Sie Ihre Handschuhe nicht ausziehen, weil Ihre Hände nicht so zart sind wie die einer Lady, deren Haut regelmäßig gepflegt wird. Wie mache ich mich bisher?«
Ihr Tonfall verriet ihr Erstaunen, als sie antwortete: »Fahren Sie fort, Mr. Magee!« Trotzdem glaubte sie fest daran, dass er die Wahrheit niemals erraten würde.
»Sie können fluchen wie ein Mann, obwohl auch irgendetwas Vornehmes in ihrem Benehmen ist. Ich glaube ... Sie haben bei den Zigeunern gelebt. Vielleicht sind Sie als Kind aus ihrem Wagen geraubt worden?«
Morna war jetzt ehrlich beeindruckt. »Sehr scharfsinnig, Mr. Magee. Ich stamme wirklich aus einer vornehmen Familie«, erklärte sie. »Und ich habe tatsächlich mit den Zigeunern gelebt. Aber es stimmt nicht, dass sie Kinder rauben – davon haben sie selbst genug!« Diese Worte erinnerten sie daran, dass nicht einmal die Zaubertränke und Sprüche der fahrenden Leute ihr hatten helfen können, ein Kind zu empfangen. »Nein, ich bin als junges Mädchen mit den Zigeunern fortgelaufen.« Sie hatte keine andere Möglichkeit gesehen, doch sie wollte jetzt nicht über ihre Gründe sprechen. »Ich hatte mich in einen ihrer Männer verliebt«, sagte sie mit einer Spur von Traurigkeit in der Stimme. Es hatte ein ganzes Jahr gedauert, bevor sie vor sich selbst zugegeben hatte, dass sie Garvie Flynn liebte, auch wenn es nicht die leidenschaftliche Liebe gewesen war, von der sie immer geträumt hatte. Und erst nach einem weiteren Jahr hatte sie zugestimmt, ihn zu heiraten, nachdem eine der Zigeunerinnen sie davon überzeugen konnte, dass kein anderer Mann sie nehmen würde. Morna erwartete Hass oder Abneigung in Riordans Miene zu lesen, doch stattdessen wirkte er nur ehrlich erschrocken.
In Gedanken war er plötzlich wieder in jener Nacht, die viele Jahre zurücklag und in der er sein Leben riskiert hatte, um eine junge Frau zu finden, die von den Zigeunern entführt worden war.
Er hatte sie tatsächlich gefunden und dann feststellen müssen, dass sie sich überhaupt nicht in Gefahr befand. Sie war nicht einmal gefangen gehalten worden, sondern hatte im Gegenteil eher selbst die Zigeuner durch ihre Reize gefesselt.
»Wusste Ihre Familie, dass Sie mit dem fahrenden Volk gegangen waren?«, fragte er.
»Ich ... bin sicher, dass sie es wussten. Ich habe sie seit damals nicht mehr gesehen, und das ist viele Jahre her.«
»Ihr Fortgehen hat sie gewiss sehr geschmerzt«, erwiderte Riordan, und seine Gesichtsausdruck wurde härter. Er kannte diesen Mark zerfressenden Schmerz nur zu gut und hatte Jahre gebraucht, um darüber hinwegzukommen.
Morna wandte sich ab und starrte wieder aus dem Fester. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich dieses Thema jetzt gern beenden.«
»Wie Sie
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