Der Ruf des Kolibris
gewesen, als hätte ich mich auf einmal geschämt, von Elena mit einem Indio erwischt zu werden. Doch zu allem Unglück hatte, als er sich davonschleichen wollte, mein Vater ihn entdeckt, erkannt und zu sich gerufen, und er war so verpeilt gewesen, dass er gegen alle Regeln des indianischen Friedensstifters und Politikers versucht hatte, den Großen Guaquero zu provozieren.
In seiner Bitterkeit hatte er ihm vorgehalten, die Nasas um ihr Land und die Ausbeute der Smaragdmine betrogen zu haben. Das war nicht klug gewesen und überhaupt nicht diplomatisch. Aber als zu krass hatte er in diesem Moment den Gegensatz zwischen dem Dollar-Milliardär, seiner Tochter, dem lächelnden deutschen Arzt und mir auf der einen Seite und sich selbst, dem Indio im Smoking, auf der anderen Seite empfunden. Er war nur Gast in dieser Welt und würde nur geduldet werden, wenn er sich benahm. Kritik an Leandro Perea gehörte nicht dazu.
Mit dem Gefühl, sich an diesem Abend auf ganzer Linie falsch verhalten zu haben, war er geflohen. Er hatte mich wider besseres Wissen in den Armen gehalten und eine Sekunde später zurückgestoßen, er hatte Front gegen einen der reichsten Männer von Kolumbien gemacht, statt ihn als Geldgeber für Bildungsprojekte im Cauca zu gewinnen, und als Elena ihn als Dieb bezeichnete, war er davongelaufen.
Zu Fuß ging er nach La Candelaria, um im Theater seines Freundes den Smoking loszuwerden. Dann machte er sich, wieder zu Fuß – denn das Moped war ihm am Morgen dieses Tages verreckt –, auf den langen Weg zum Haus seiner Großmutter am Waldrand im Nordosten der Stadt. Während er durchs nächtliche Bogotá lief, versuchte er seine Gedanken und Gefühle zu ordnen. Er beschloss, das Praktikum im Colegio Bogotano abzubrechen, denn nur so konnte er weitere Begegnungen mit mir vermeiden. Vor allem musste er den Job als Gärtner bei unserer Hausverwaltung kündigen.
Um mir auch ganz gewiss nirgendwo über den Weg zu laufen in dieser Millionenstadt, ließ er sich von seinen Uniprofessoren für den Rest des Semesters wegen einer wichtigen familiären Angelegenheit beurlauben und fuhr, nachdem er sein Moped repariert hatte, nach Popayán, wo er im CRIC Rocío helfen und sich bei der Organisation des festlichen Jahrestreffens der Indígenas des Cauca nützlich machen konnte. Außerdem ging es Clara wieder einmal schlechter als sonst, und Onkel Tanos Fehde mit Don Antonio hatte ein solches Ausmaß an Feindseligkeit erreicht, dass Damián sich erstmals als Vermittler anbot.
Aber wie das oft der Fall war innerhalb einer Familie: Damiáns friedensstiftende Kräfte versagten bei seinem Onkel, genauso wie Großmutter Juanitas heilende Kräfte bei Clara nicht wirkten. Je mehr Damián in Tano drang, um der Einheit der Indígenas willen seine Fehde mit Antonio zu begraben, desto leidenschaftlicher wurden Tanos Hassreden und Racheschwüre dem ehemaligen Kampfgenossen gegenüber. Er ging sogar so weit, von Damián ein klares Bekenntnis zu ihm, Tano, und seiner Familie zu verlangen. Andernfalls wolle er ihn nicht mehr sehen. Clara zuliebe ließ Damián es nicht auf eine Konfrontation ankommen.
»Aber warum hasst dein Onkel diesen Antonio so?«, fragte ich.
»Tano ist besessen von der Idee des Kampfs«, sagte Damián. »Tano und Antonio waren einst Waffenbrüder in den Zeiten, als das Drogenkartell von Medellín und die FARC um die Macht in den Provinzen kämpften und überall Kämpfer rekrutierten. Sie gehörten einer kleinen Guerilla-Einheit an, die Dörfer überfiel, Menschen entführte, Kokainküchen unterhielt und den Kokabauern und der Landbevölkerung gegenüber die Wohltäter spielten. Ihre Freundschaft hielt auch noch an, als die Zeiten der Waffengänge vorbei waren. Doch vor gut drei Jahren änderte sich das plötzlich. Seitdem nennt Tano seinen ehemaligen Freund einen geldgierigen Hurensohn und Antonio spricht von Tano nur noch als dem blutrünstigen Metzger.«
»Was ist passiert?«
»Nun ja, sie haben sich über die Strategie zerstritten. Tano wollte den politischen Kampf gegen die Terratenientes, die Großgrundbesitzer, er wollte Attentate verüben, Antonio dagegen hatte genug vom Töten, er wollte vor allem Beute machen.«
Im Gegensatz zu Tano, fuhr Damián fort, war Antonio bei den Leuten in den Bergen beliebt, weil er und seine Leute Lastwagen kaperten und die Ware verteilten. Tano dagegen focht seinen eigenen revolutionären Kampf gegen die Macht der Weißen, was den Bauern in den Bergen weniger gut
Weitere Kostenlose Bücher