Der Ruf des Kolibris
Indígenas, da wusste ich plötzlich, ich hatte mich in dir getäuscht. Du hast nicht die Vorurteile – und seien sie auch noch so verborgen und unbewusst –, die die anderen Mädchen in ihren amerikanischen Ballkleidern haben.«
In diesem Moment war Damián bereit gewesen, alles, was er bis dahin gewollt und so leidenschaftlich angestrebt hatte, über Bord zu werfen und mir sein Herz zu Füßen zu legen. Die oder keine! Bis ans Ende der Welt wollte er mir folgen. Es gab nur noch ein Leben, das mit mir. Und wenn es ihn sein eigenes gekostet hätte!
Er hatte sich gerade von der hinteren Ecke des Saals auf den Weg gemacht, um mir und meinen Eltern entgegenzutreten und sich vorzustellen, da goss mir diese unselige Kellnerin den Inhalt der Gläser auf ihrem Tablett übers Kleid.
Gleich darauf holte ihn seine Wirklichkeit ein. Unter der Schar der Kellner entdeckte er einen Burschen, den er kannte und der sich aus seinen Augen zu schleichen versuchte. Es war einer von Don Antonios Leuten, einer seiner besonderen Freunde. Und der gehörte eindeutig nicht nach Bogotá und schon gar nicht in das Heer der Kellner, die im Bolívar-Hochhaus vermögende und bedeutende Gäste betreuten.
»Das war der Kellner, mit dem du dich im Treppenhaus bei den Toiletten gestritten hast«, erinnerte ich mich.
Damián nickte. »Ich hatte ihn mir gegriffen und von ihm verlangt, dass er mir erklärte, was er hier suchte. Er bestritt erst, der zu sein, für den ich ihn hielt, dann behauptete er, er gehöre nicht mehr zu Antonios Guerilleros und arbeite schon seit einiger Zeit in Bogotá. Dabei wurde er immer nervöser. Er hatte Angst.«
»Was kann er denn gewollt haben?«, fragte ich.
»Immerhin hatte Präsident Uribe sein Kommen angesagt.«
»Aber er kann doch nicht vorgehabt haben, ein Attentat zu begehen! Er alleine!«
»Unwahrscheinlich. Aber schon, wenn er nur ein paar Kreditkarten und Brieftaschen geklaut hätte, wäre es für deren Besitzer gefährlich geworden. Wenn man jemanden entführen will, ist es gut, wenn man weiß, wo er wohnt und arbeitet. Und auf so einem Ball kann man sich wunderbar einen Überblick verschaffen, welche Frau teuren Schmuck trägt und bei wem es sich lohnt, das Töchterchen oder den Sohn zu entführen. Das habe ich ihm auf den Kopf zugesagt. Daraufhin hat er mich beschimpft. Die Tage meines Onkels Tano seien gezählt, auch für mich sei es besser, wenn ich schleunigst Bogotá verließe.«
»Darauf hast du ihm gedroht, er solle auf seine Mutter und seine Schwestern achtgeben.«
Damián lächelte schief. »Ich habe mich hinreißen lassen. Dich hat es erschreckt, nicht wahr?«
Er selbst war nicht weniger erschrocken gewesen, als er sich umgedreht hatte und mich in der Tür der Damentoilette stehen sah, ernst und mit großen Augen. Er hatte sich augenblicklich für den wüsten Wortwechsel, dessen Zeugin ich geworden war, geschämt. Und noch schlimmer: Angst hatte ihn urplötzlich überfallen, echte, bohrende Angst. Nicht um sich selbst, sondern um mich. Was würde er mir antun, wenn er mich an seine Seite zog? In was für eine Welt würde er mich führen? Er konnte mich ja nicht einfach schnappen und mit mir das Land verlassen. Und solange er hier war, war er Teil von Onkel Tanos und Don Antonios Fehde. Als Tanos Neffe war er stets in Gefahr, entweder selbst Opfer einer Gewalttat zu werden oder mitansehen zu müssen, wie seine Schwester Clara oder seine Cousinen Ana und Alejandra einem sinnlosen Gemetzel aus Rache oder Rivalität zum Opfer fielen. Eben gerade hatte er selbst dem falschen Kellner und seiner Familie genau das angedroht. Er, Damián, der bisher keine Furcht gekannt hatte, weil er sich auf sein Talent und seine Kraft verlassen zu können meinte, verstand auf einmal, wie verletzlich er sein würde, wenn er liebte. Schlagartig erkannte er, dass er mir niemals würde näherkommen dürfen als in diesem Moment. Niemals durften unsere Unterhaltungen die Grenze des Konventionellen überschreiten, mehr als ein Händedruck war nicht erlaubt.
»Ich glaube, ich habe ziemlich herumgestottert«, bemerkte Damián leise.
»Ich aber auch«, lächelte ich. »Du hast mich auf Englisch angesprochen.«
»Und du hast die ganze Zeit fieberhaft überlegt, was ich auf dem Ball mache. Ob ich nicht vielleicht ein Spion der FARC wäre.«
»Daraufhin hast du mir vorgeworfen, wir würden euch Indios alle für Diebe halten.«
Damián lachte peinlich berührt und zog halb bewusst mit dem Finger die Linien meiner
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