Der Ruf des Kolibris
dieser Berührung. Vielleicht zuckte ich. Denn er löste sich von mir.
»Du weißt nicht, worauf du dich einlässt«, sagte er kaum hörbar.
»Ich weiß sehr wohl ...«
»Scht, Jasmin. Du weißt noch lange nicht alles über mich, was du wissen musst, um dich richtig zu entscheiden.«
Nichts wollte ich in diesem Moment weniger, als mich richtig entscheiden. Aber Damián war unerbittlich. Mit seiner ruhigen Stimme fuhr er leise fort zu erzählen.
Wortwörtlich hatte seine Großmutter in ihrem Brief zitiert, was ich ihr zum Schluss des Gesprächs, den Tränen nahe, erklärt hatte. Ich hätte wissen wollen, was er nach unserem Kuss auf dem Ball hatte sagen wollen, aber nicht gesagt hatte. Jetzt wisse ich es. Er könne sich nicht mit mir abgeben. Er habe andere, wichtigere Ziele. Sie, Juanita, könne ihm sagen, das hätte ich jetzt verstanden. Ich würde ihn nicht weiter belästigen.
Damián hatte, als er das las, an seinem Schreibtisch im Büro des CRIC zwischen Stapeln von Papier, Plakaten und Pamphleten gesessen und war tief betroffen gewesen. Einerseits beruhigte es ihn, zu erfahren, dass ich offenbar zumindest halbwegs verstanden hatte, warum er sich davongemacht hatte, andererseits spürte er, mehr als ihm lieb war, dass es auch mir nicht gut ging. Er war nicht der Einzige, der ins Schlingern gekommen war. Auch ich musste ziemlich durcheinander sein, dachte er sich, wenn ich zu seiner Mama Lula hinausgefahren war, ganz offensichtlich in der Hoffnung, ihn, Damián, dort zu finden. So etwas tat ein Mädchen aus gutem Hause nicht, hatte er in seiner Zeit am Colegio gelernt, sie lief keinem Jungen hinterher, sie wartete auf seinen Anruf. Und wenn sie es doch tat, dann war es mehr als ein Flirt. Dann war es ihr ernst.
Viel weniger, als ich dachte, hatte er tatsächlich abschätzen können, wie ich zu ihm stand. Wir hatten nicht gerade viel miteinander geredet, er hatte keinen blassen Schimmer, wie ich wirklich tickte. In seinen Augen folgte mein Leben völlig anderen, ihm völlig fremden Regeln.
Er stellte sich mein Verhältnis zu meinen Eltern eng und liebevoll vor, so freundlich, wie ihm mein Vater begegnet war. Er glaubte, dass ich meinen Eltern vollständig vertraute und gehorchte und dass ich zögern würde, mich auf einen wilden Gesellen wie ihn einzulassen. Er hatte die Vorstellung, er müsse über viele Wochen hinweg artige Besuche bei meinen Eltern abstatten und sich ihnen als fleißiger Student präsentieren, ehe er die Erlaubnis bekam, einmal mit mir auszugehen oder sich von mir mit auf mein Zimmer nehmen zu lassen. So war das seiner Vorstellung nach in den vom spanischen Katholizismus geprägten Familien der Reichen und Schönen üblich, so hatte er es in amerikanischen Filmen gesehen. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass ich sonderlich viele Gedanken an ihn verschwendete, den unglücklichen Indianer, der mich in eine peinliche Lage gebracht und mir den Ball verdorben hatte.
Doch nun schrieb ihm Juanita, dass ich bei ihr gewesen war und nach ihm gefragt hatte und dass ich, als sie mir mitteilte, er sei weggegangen, betroffen und traurig ausgesehen hätte und schließlich wütend die Worte gesprochen hätte, die sie zitierte. Juanitas Brief endete mit einer Lebensweisheit aus den Legenden der Nasas, die da lautete: »Wenn du eine Frau liebst, die in einem fremden Haus lebt, dann entfache einen Krieg oder fahre für immer nach Hause.«
»Was heißt das?«, fragte ich.
»Sie wollte damit sagen, dass in der Liebe die Unentschiedenheit ins Verderben führt. Entweder ich kämpfe oder ich verzichte. Ein Zwischending gibt es nicht. Oder anders gesagt: Sie wollte mich davor warnen, wieder nach Bogotá zurückzukommen.«
»Und daran hast du dich gehalten.«
Er schaute mich ernst an. »Ja. Ich hatte mich entschieden.«
Für einen Moment war es still im Zimmer. Das erste Licht des Morgengrauens deutete sich im Fensterviereck an.
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D ann hatten sich die Ereignisse überschlagen. Damián war auf dem Weg in die Berge nach Yat Pacyte gewesen und hatte noch etliche Stunden zu reiten gehabt, als er durch eine Ansiedlung kam, in der zwei betrunkene junge Männer in die Luft schossen. Vor den angstvollen Bauern prahlten sie damit, dass sie gerade einen Lastwagen gekapert und ein paar Touristen aus Bogotá ausgeraubt hätten. Damián stieg ab und beruhigte die Lage. Die jungen Bürschchen zeigten ihm ihre Beute, Geldbörsen, Scheine und eine Uhr. Der Schrecken fuhr Damián in die
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