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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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gefiel, denn er erwartete von ihnen, dass sie Militärposten beschossen, statt Lastwagen auszuplündern.
    »Vor drei Jahren wurde doch auch Susanne Schuster entführt?«, bemerkte ich.
    Damián blickte zu mir herüber. »Und?«
    »Vielleicht haben sich Tano und Antonio darüber zerstritten. Könnte das nicht sein?«
    »Nein!«, antwortete Damián knapp.
    »Aber Clara glaubt ...«
    »Sie hat mit dir darüber gesprochen?«
    Ich spürte seine Anspannung und hatte plötzlich ein ganz vertracktes Gefühl. Würde Damián mir jemals die volle Wahrheit erzählen?, fragte ich mich. Ich versuchte den Gedanken zu vertreiben. Ich schämte mich sogar meiner Zweifel. Aber sie waren da.
    »Was hat sie dir erzählt?«, fragte Damián.
    »Nicht viel. Eigentlich nichts. Sie glaubt, dass dein Onkel Tano Susanne entführt hat.«
    Ich verschwieg das entscheidende Detail, nämlich dass Clara überzeugt war, den Aufenthaltsort von Susanne Schuster zu kennen, und dass ich versucht hatte herauszubekommen, wo er lag. Vielleicht hätte ich das noch gesagt, hätte Damián mich nicht mitten in meinen Überlegungen unterbrochen.
    »Ja«, sagte er, »Clara glaubt sogar, Tano habe die Deutsche entführt, um sie ihr wegzunehmen.«
    »Stimmt das?«
    Damián blickte mich an. Sein Atem ging nicht mehr so ruhig wie bisher. Er schluckte. »Tano hat mit Susanne Schusters Entführung zu tun, das stimmt. Aber er war es nicht allein. Sie hat viele hier in der Gegend gestört. Sie hat sich in alles eingemischt. Nicht nur, dass sie die Mädchen gegen ihre Familien aufgehetzt hat ...«
    »Aber das ist doch kein Grund!«
    »Es war auch nicht der Grund. Aber ...« Er stockte. »Verschieben wir das Thema. Lass mich zu Ende erzählen, ja?«
    Kurz nachdem er aus Bogotá nach Popayán geflüchtet war, bekam Damián von seiner Großmutter Juanita einen Brief, den sie ans Büro des CRIC adressiert hatte. Damián wunderte sich ziemlich, denn Juanita mochte das geschriebene Wort nicht. Noch nie hatte er von ihr einen Brief erhalten. Ein- oder zweimal hatte sie bei seinem Onkel Gustavo im Laden in der Calle Sexta angerufen. Aber sie musste zum Telefonieren zur Nachbarin und man konnte sie nicht zurückrufen. Damián entfaltete den Brief und wusste augenblicklich, warum Juanita ihm das nicht über seinen Onkel Gustavo hatte ausrichten lassen wollen, sondern zu Papier und Bleistift gegriffen hatte. Das Blatt mit der ungeübten Handschrift begann in seiner Hand zu zittern.
    » La virgen me visitó «, begann der Brief. »Die Jungfrau hat mich besucht.«
    Ich schnaubte. Dieser Titel hatte mich schon damals geärgert.
    Damián lächelte. »Stimmt es denn?«, fragte er.
    »Was meinst du?«, fragte ich ärgerlich zurück. »Dass ich sie besucht habe?«
    »Nein, dass du noch Jungfrau bist.«
    »Wenn Juanita es sagt!«
    Er lachte leise.
    Aber mir war es total peinlich. Ich kam mir wieder kindlich und unerfahren vor. Wahrscheinlich würde Damián jetzt nie mehr tun, als meine Hand zu halten und mich zu küssen, vor lauter Respekt vor meiner Jungfräulichkeit. Und er würde mich nie wirklich ernst nehmen. Er würde mich wegschicken wie ein Kind, hinaus in eine andere Zukunft ohne ihn, in der, wie er meinte, ein anderer Mann mich lieben und heiraten würde, und zwar unbefleckt!
    Scheiße war das!
    Ich dachte an das Kondom, das mir Felicity Melroy zugesteckt hatte. Es musste noch irgendwo in einer Tasche meiner Jacke stecken. Wenn ich jetzt einfach ...
    Nein, einfach war es nicht. Ich zögerte. Einfach die Gesten imitieren, die Frauen in den Fernsehserien und Liebesfilmen machten, wenn sie einen Mann rumkriegen wollten, das konnte ich nicht. Es wäre mir billig und verlogen vorgekommen. Damián war kein Mann, den man einfach so verführte und vernaschte, damit man Macht über ihn gewann. Es wäre ihm gegenüber unfair gewesen.
    »Was ist?«, fragte er.
    »Nichts.«
    Er zog mich an sich und flüsterte mir ins Ohr: »Möchtest du?«
    Ich konnte nur hoffen, dass er das meinte, woran ich gerade so intensiv dachte, und nickte. Ich spürte seinen Atem an meinem Hals und seine Lippen an einer empfindlichen Stelle unterhalb meines Ohrläppchens. Die Härchen stellten sich auf an meinen Armen. Es war erregender und schöner, als ich es mir je vorgestellt hatte, eine wahnwitzige Vorfreude zuckte in mir. Es war irre! Er drehte mein Gesicht zu sich und küsste mich. Und zum ersten Mal spürte ich seine Hand an meiner Brust. Ein bisschen erschreckte es mich doch: der Ernst, die Begierde in

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