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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Glieder, als er die Uhr wiedererkannte, die der Affe seiner Großmutter mir einst geklaut und die er eine Weile bei sich in der Tasche getragen hatte, ehe er sie mir zurückgeben konnte. Er würde sie überall wiedererkennen, diese sonderbare altmodische Uhr aus Gold mit buckligem Glas auf einem vom Alter gegerbten Lederarmband, die eigentlich eher zu einem Mann gepasst hätte als zu einem jungen Mädchen.
    »Ein Freund hat sie mir gegeben«, erklärte ich. »Zum Abschied. Es ist ein guter Freund, er heißt Simon. Die Uhr hat seinem Vater gehört. Er hat behauptet, die Uhr brächte Glück, und er hat sie seinem Sohn geschenkt, bevor er zu seiner letzten Reise aufbrach. Er ist beim Bergsteigen im Himalaja verunglückt. Vielleicht hätte er die Uhr mitnehmen sollen, dann wäre er nicht gestorben.«
    »Oder umgekehrt«, sagte Damián, »er hat insgeheim gewusst, dass er nicht die Kraft haben würde zurückzukehren, und sie deshalb seinem Sohn geschenkt.«
    In seiner friedlichen Art hatte Damián die betrunkenen jungen Guerilleros ausgefragt und erfahren, was geschehen war. Zum Schluss hatte er ihnen für ein paar Pesos meine Uhr abgekauft. Sie hatten die kleine Ansiedlung in Richtung ihrer Heimatdörfer verlassen, und Damián hatte sein Pferd gewendet und war, so schnell er konnte, zurückgeritten. Am Vormittag erreichte er das Gasthaus mit den Pferdekoppeln, wo auch wir, mein Vater, Elena, Leandro und ich, zwei Tage später unsere Pferde bestiegen hatten, um in die Berge zu reiten.
    Auf seinem Moped war er nach Popayán gerast. Von den beiden betrunkenen Guerilleros hatte er erfahren, dass Don Antonio die beiden Deutschen und die zwei Reisenden aus Bogotá nach Popayán gebracht hatte. Er vermutete, dass Antonio uns im Gästehaus seines Schwagers am Südostrand der Stadt untergebracht hatte. Aber es hatte keinen Sinn, wenn er alleine dort aufkreuzte. Also fuhr er ins Zentrum von Popayán, stellte sein Moped hinter dem Laden seines Onkels Gustavo ab und lief zum Büro des CRIC.
    Sein Plan war, ein paar Leute zusammenzutrommeln. Sie sollten blaue Hemden und keine anderen Waffen als den drei Zoll langen Stab der Nasas tragen und ihn zum Gästehaus von Antonios Schwager begleiten. Er hoffte, mit dem folkloristischen Aufmarsch dem Ganzen den kriegerischen Anstrich zu nehmen und die Sache friedlich lösen zu können.
    Aber war es wirklich Zufall, dass Don Antonio ausgerechnet mich und meinen Vater entführt hatte?, fragte er sich. Es wusste eigentlich niemand, was ihn, Damián, mit mir verband. Doch nur er war damit erpressbar, dass mir jemand etwas antat. Dass der Fall, den er so fürchtete, derartig schnell eintreten würde, erschreckte ihn. Und noch mehr erschreckte ihn die Angst, die er um mich hatte. Diese Angst erzeugte neue Ängste. So fürchtete er plötzlich, die Angst um mich könnte seine Urteilskraft trüben und ihm die Besonnenheit rauben und er könnte vor lauter Nervosität einen Fehler machen.
    Panik stieg in ihm auf. In diesem, ihm völlig unbekannten Zustand hastete er die Treppen zum Büro des CRIC hinauf.
    »Da bist du ja!«, schrie Rocío. »Wir suchen schon wie verrückt nach dir. Iván ist vor einer Stunde losgefahren, um dich zu holen. Warum legst du dir nicht endlich mal ein Handy zu?«
    »In den Bergen habe ich eh kein Netz«, antwortete Damián. »Was ist los?«
    Rocío berichtete ihm, dass eine Weiße da gewesen sei, die eine wahrhaft abenteuerliche Geschichte erzählt habe und am Uhrenturm auf ihn, Damián, warte.
    Er drehte auf dem Absatz um, rannte die Treppen wieder hinunter und hinaus auf die Straße. Doch als er ein paar Minuten später unter dem gedrungenen weißen Turm mit der Uhr stand, war ich nicht dort. Damián umrundete den von Menschen überfüllten Park, lief einmal quer hindurch und fragte schließlich den Fotografen Gilberto, den er kannte, ob er mich gesehen habe.
    Gilberto nickte. »Don Antonio hat sie heute Morgen gebracht. Seitdem wartet sie auf jemanden. Don Antonio wartet auch, da hinten in einer Bar. Er hat eine Pistole unter der Jacke, sagen die Leute. Nimm dich in Acht, Damián. Sie ist Antonios Lockvogel. Da kommt sie übrigens.«
    Und wieder hatten wir plötzlich voreinander gestanden und wieder traf es ihn wie ein Blitz. Wie hatte er jemals ernsthaft glauben können, er könne mich vergessen! Die blauen Augen, den Goldschimmer in meinem Haar, den weichen und verträumten Zug um meinen Mund, das Herausfordernde in meinem Blick.
    Er hatte erst gar nicht kapiert, was ich

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