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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Chance gegeben, meine Beweggründe zu deinen eigenen zu machen.«
    Vielleicht besser so, dachte ich plötzlich. Doch in diesem Moment, um fünf Uhr nachts im Hotel von San Andrés de Pisimbalá, war ich noch absolut sicher, dass es Damián auch mit einer noch so langen Geschichte nicht gelingen würde, mich davon zu überzeugen, dass auch ich am Ende sagte: »Ich sehe es ein. Es geht nicht mit uns. Wir haben keine Zukunft.« Das würde nicht geschehen.
    Aber ich sagte es nicht, um Damián nicht zu warnen. Man durfte ihn nicht unterschätzen. Mir war total klar, dass der Indio, der so liebevoll mit meinen Fingern spielte und so sehnsuchtsvoll und leidenschaftlich küssen konnte, ein raffinierter Friedensstifter war, wie man das in seiner Kultur nannte, oder ein echter Politiker, wie wir sagten. In jedem Fall war er geübter als ich im Reden und Überzeugen.
    Während seiner Zeit im Colegio Bogotano hatte er entdeckt, dass er ein besonderes Talent besaß, nämlich das, Konflikte zu erkennen, zu durchschauen und zu schlichten. Das hatte seine Großmutter Juanita ihm zwar schon bescheinigt, aber auch ein Talent brauchte Gelegenheit, sich auszuprobieren, zu üben und weiterzuentwickeln. Begierig hatte Damián sich die westlichen Methoden der Konfliktvermeidung und Deeskalation angeeignet. Und nicht selten hatte er europäische oder amerikanische Streithähne mit indianischen Friedensriten verblüfft und Mestizen, Halbindios und Schwarze mit den Prinzipien der Gesprächsführung, wie man sie in großen Konzernen anwandte.
    So war in ihm allmählich die Erkenntnis gereift, dass sein Traum vom Frieden kein Traum bleiben musste, sondern dass er das Talent und die Mittel besaß, dazu beizutragen, die gegensätzlichen sozialen Klassen in seinem Land miteinander zu versöhnen. Und wenn seine eigenen Leute, die Indios, als Lehrer, Ärztinnen oder Beamte den Weg in die Gesellschaft von Kolumbien finden sollten, dann brauchten sie zuallererst eine gute Bildung und Ausbildung.
    Die Rektorin hatte ihn in seinen Ideen bestärkt und ihm den Job als Praktikanten an der Schule gegeben, damit er lernte, wie eine große Lehranstalt aufgebaut war und funktionieren konnte. Dafür war er ihr dankbar. Für ihn war sie wie Mutter und Vater, die er nie gehabt hatte, allerdings nur, was ihre Bereitschaft betraf, ihn zu führen, ihm seinen Weg und seine Grenzen zu zeigen und ihn etwas zu lehren. Privat hatte er ihr nie etwas anvertraut. Und nun, da sie ihm die Karte für den Ball schenkte, hatte er sie nicht enttäuschen wollen. Also hatte er sich an einen Freund gewandt, der in La Candelaria ein kleines Theater betrieb, sich einen Smoking ausgeliehen und sich von der Maskenbildnerin die Haare schneiden lassen.
    Eine von Damiáns wesentlichen Charaktereigenschaften war seine absolute Furchtlosigkeit. Nichts und niemand konnte ihn einschüchtern. Auch kein Saal voller Herren in schwarzen Anzügen und Damen mit Schmuck, der mehr wert war, als er, Damián, jemals im Leben verdienen würde. Selbst wenn man ihn aufgefordert hätte, vor Menschen, die ihn auspfeifen und auslachen oder sich schweigend abwenden würden, eine Rede auf Englisch oder Deutsch zu halten, hätte ihn das nicht ins Schleudern gebracht. Es war ihm von jeher egal, was Menschen von ihm dachten, mit denen er nicht verwandt oder befreundet war.
    Und dann kam ich und lehrte ihn das Fürchten.
    »Da standest du unter den funkelnden Kronleuchtern zwischen deinen Eltern, in diesem wunderschönen Kleid, das so anders war als das der anderen Mädchen, und ich wünschte, im Erdboden versinken zu können.«
    »Aber wieso denn?«, fragte ich verwundert.
    »Ja, hast du es denn immer noch nicht verstanden, Jasmin? Vom ersten Augenblick an hatte ich Angst vor den Konsequenzen, die meine Gefühle haben würden, nicht so sehr für mich als vielmehr für dich. Für dich bin ich die Katastrophe!«
    »Nein, gar nicht!«, sagte ich. »Hör auf mit dem Unsinn. Du bist nicht für alles allein verantwortlich. Ich habe auch einen Anteil daran! Ich wollte es! Ich will es, Damián!«
    Seine Augen funkelten, sein Griff um meine Hand wurde fest. Seine Lippen öffneten sich. Ich sah einem Mann ins Gesicht, der mich begehrte, der mich in Besitz nehmen wollte und sich doch unter Aufbietung all seiner Kräfte beherrschte. Er schloss die Augen und ließ sich wieder gegen das Kissen fallen.
    »Du hast recht, Jasmin«, stöhnte er. »Als ich dich in den Ballsaal treten sah, in dem Kleid in unseren Farben, denen der

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