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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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Forscher! Wahrheit ist Wahrheit, Märchen ist Märchen. Wir leben nicht in der Welt der Gebrüder Grimm.«
    Carl lächelte. »Ich mochte die beiden alten Herren immer gern. Ob sie noch leben?«
    »Lenk nicht ab«, sagte Emma energisch. »Mir geht es nicht um Zwerge und Hexen oder den deutschen Wald, sondern um unsere sehr realen Probleme hier!«
    »Das ist mir klar.« Er wurde wieder ernst. »Aber Emma, ebenso wenig wie du unsere deutschen Zwerge auf die Great Dividing Range versetzen kannst, so wenig kannst du unsere Maßstäbe dessen, was moralisch gut oder verwerflich ist, an die Menschen des Clans anlegen.«
    Emma schüttelte heftig den Kopf. »Das sehe ich anders. Einen Jungen zu verletzen ist immer falsch, ob hier oder in Deutschland oder auf dem Mond.«
    »Hast du denn gar kein Verständnis dafür, dass die Schwarzen sich vor unseren Einmischungen fürchten?«
    »Fürchten? Vor mir? Was könnte ich schon gegen ihren Willen ausrichten, außer dass ich klar und deutlich meine Meinung kundtue?«
    »Es geht nicht nur um dich. Es geht um die grundsätzliche Frage, ob wir verändern dürfen, was wir als Forscher beobachten.«
    Erregt rief Emma aus: »Wenn ich einen Jungen sehe, der gerade gequält wird, sind mir grundsätzliche Fragen herzlich egal! Dann muss ich handeln.«
    »Du handelst aber nicht isoliert! Du darfst deine Einmischungen nicht von den Geschehnissen in diesem Land trennen. Herrgott, Emma, du weißt doch, was überall passiert! Die Weißen nehmen den Eingeborenen das Land weg und holen sie dann als billigste aller Arbeitskräfte auf ihre Farmen. Was glaubst du, warum es in der Umgegend nur noch so wenige Clans gibt?«
    Carl hatte sich in heiligen Zorn geredet, etwas, das sie von ihm nicht kannte. Emma schwieg.
    Er bemühte sich um einen ruhigeren Tonfall, als er hinzufügte: »Verstehst du denn nicht, dass unsere Freunde das Gefühl haben, sich mit Händen und Füßen gegen weitere Veränderungen wehren zu müssen? Die Gesetze der Traumzeit sind alles, woran sie sich noch klammern können. Wir sollten wirklich nicht dazu beitragen, dass ihnen dieser letzte Halt wegbricht.«
    Sie furchte die Stirn. War sie wirklich so sehr im Unrecht?
    Ganz falsch fand sie es nicht, was Carl gesagt hatte. Dennoch hatte das, was die Weißen mit den Schwarzen anstellten, nichts damit zu tun, ob irgendwelche urtümlichen grausamen Gesetze befolgt wurden oder nicht. Aber wie sollte sie das den Schwarzen klarmachen? Wie ihnen beibringen, dass das Festhalten an brutalen Ritualen rein gar nichts zum Besseren wendete?
    Mutlos fragte sie: »Dann glaubst du also, wir können nichts tun?«
    »Gegen das Narbenritual? Nein.«
    »Das meinte ich nicht. Ich meinte, gegen das … das alles.« Sie machte eine weit ausholende Handbewegung. »Alles, was uns erbarmungslos erscheint. Alles, was unserem Empfinden nach gegen die Menschlichkeit verstößt. Soll ich wirklich nicht mehr dagegen aufstehen, soll ich mein Herz so sehr verleugnen?«
    Carl seufzte, sein Zorn war verflogen. Er strich Emma eine kurze Locke aus dem Gesicht und sagte: »Stehst du denn gegen die Schafzüchter auf, Emma? Gegen die Männer, die unzählige Wilde erschießen, wenn sie auch nur den Verdacht haben, ein einziger von ihnen könnte ein Stück Vieh geraubt haben?«
    »Nein«, flüsterte sie. »Aber mit den Schafzüchtern lebe ich auch nicht zusammen.«
    Carl sah ihr in die Augen. Eindringlich sagte er: »Ich liebe dich. Und am meisten liebe ich dein gutes Herz. Aber wenn wir hierbleiben wollen, Emma, dann müssen wir uns zurückhalten! So schwer es uns auch fallen mag.«
    Sie rückte näher an Carl heran, fühlte die tröstliche Wärme seines Körpers und legte ihren Kopf auf seine Schulter.
    »Manchmal ist es so schwierig«, sagte sie leise. »Wissenschaftlerin zu sein, neutral zu bleiben. Als Weiße unter Schwarzen zu leben.«
    Kaum waren die Worte heraus, hätte Emma sie am liebsten zurückgenommen. Sie verabscheute Selbstmitleid und wollte nicht klagen. Sie war doch gerne Forscherin!
    Aber Carl verurteilte sie nicht. Er rieb ihr auch nicht unter die Nase, dass sie selbst es gewesen war, die darauf bestanden hatte, dauerhaft bei den Schwarzen im Clan zu leben.
    Stattdessen sagte er sanft: »Wir wussten doch, dass es nicht leicht werden würde. Aber haben wir zwei bisher nicht alle Schwierigkeiten gemeistert?«
    Sie lächelte. »Doch. Das haben wir.«
    Die tröstliche Gewissheit machte sich in ihr breit, dass sie es schaffen würde – alles schaffen konnte,

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