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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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solange sie nur mit Carl zusammen war. Er war ihr Halt und ihre Stütze, ihr Fels in der Brandung.
    Hoffentlich werde ich niemals gezwungen sein, ohne ihn zurechtzukommen.

5
    B irwain saß mit geschlossenen Augen in seiner Hütte. Er musste nichts sehen, um zu wissen, dass die Marmbeja um ihn waren.
    Birwain bat sie inbrünstig, es ihm nicht übelzunehmen, dass er der jungen Weißen so viel verzieh.
    Von Anfang an hatte der Schamane das Gefühl gehabt, dass Emma für eine große Aufgabe bestimmt war. Er vertraute den Geistern, dass sie ihm enthüllen würden, worin diese Aufgabe bestand, wenn es an der Zeit war. Noch war es nicht so weit. Aber lange, das spürte er, würde es nicht mehr dauern.
    Ob sie bereit wäre für das, was die Geister von ihr erwarteten? Oder ob sie ihre Seele, ihre Ohren und ihre Augen verschließen würde, wie es die Art der meisten Weißen war?
    Der meisten, aber nicht aller, sprach Birwain sich Mut zu.
    Der Schamane mochte die Weißen, er hatte in jungen Jahren sogar eine Zeitlang bei einem ihrer Ärzte gelebt, um mit ihm Wissen auszutauschen. Es war eine gute Erfahrung gewesen, eine, nach der er die Eindringlinge nicht mehr mit der furchtsamen Verachtung betrachtete, die so viele der Seinen ihnen entgegenbrachten. Dayindi zum Beispiel.
    Birwain strich sich müde über die Augen. Menschen wie Dayindi waren es, die Emma gegen die uralten Sitten und Gesetze aufbrachten, und er konnte es ihr nicht einmal verdenken. Dayindi hatte einen scharfen Verstand und liebte die Gerechtigkeit. Aber er war hart. Sein Herz war zu einem festen Klumpen zusammengeschrumpft, seit der Unfall geschehen war. Der Unfall, der wahrscheinlich gar keiner gewesen war.
    Nun, es war, wie es war. Sie alle würden mit Dayindi leben müssen, mit ihm und mit den Gesetzen, die die Ahnen ihnen gegeben hatten. In der Traumzeit, die vergangen war und doch allgegenwärtig.
    Mühsam erhob sich der Schamane, seine alten Gelenke knackten. Ein sanfter Lufthauch wehte durch die dämmrige Hütte, als die Marmbeja sich zurückzogen, auf ihre Feuerpalmenblätter hoch in der Luft.
    Birwain streckte sich, dann trat auch er hinaus ins Freie.

6
    NOVEMBER 1859
    D ass sie sich falsch verhalten hatte, als sie in den Vollzug des Narbenrituals geplatzt war, ließen die Männer Emma in den nächsten Wochen deutlich spüren.
    Birrinbirrin, der mittlerweile zum Lager zurückgekehrt war, sah Emma nicht einmal mehr an; offensichtlich schämte er sich seiner Klagelaute, die Emma und Carl in die Höhle gelockt hatten. Seine Mannwerdung wurde stetig vorangetrieben, doch Emma hütete sich, noch einmal in ein Ritual einzugreifen. Ohnehin wurden die einzelnen Schritte streng vor den Frauen und Uneingeweihten geheim gehalten, und Emma begann zu ahnen, welches Sakrileg ihr Auftritt in der Höhle bedeutet hatte.
    Als sie Birrinbirrin wieder einmal ein paar Hütten weiter erblickte und er brüsk den Kopf abwandte, sobald er ihrer ansichtig wurde, fragte Emma seufzend: »Ach, Purlimil, wird er mir nie verzeihen? Ich habe es doch nur gut gemeint.«
    Es war Spätnachmittag. Die Freundinnen hatten stundenlang wilden Honig und kleine Vogeleier gesammelt und waren nun dabei, ihre Ausbeute kindersicher in Purlimils Hütte zu verstauen; sonst, so wussten sie aus Erfahrung, wäre beim Abendessen schon nichts mehr davon übrig.
    »Er wird darüber hinwegkommen«, sagte Purlimil leichthin. »Aber gut gemeint oder nicht – noch einmal solltest du unseren Ritualen nicht im Wege stehen. Gibt nur böses Blut.«
    »Das habe ich gemerkt.« Emma hatte die letzten Eier verstaut, setzte sich müde vor die Hütte und zog ihre Schuhe aus. Sie rieb sich die schmerzenden Füße. »Dein Mann ist freundlich wie eh und je, aber die anderen sind ziemlich zurückhaltend geworden. Und Dayindi scheint mich regelrecht zu hassen.«
    »Ach, Dayindi.« Purlimil machte eine wegwerfende Handbewegung, als sie sich neben Emma auf den Boden fallen ließ. »Der ist nicht gerade eine Frohnatur, oder? Er kennt sich gut mit den Gesetzen aus, deshalb ist er unser law man ,und wir achten ihn sehr. Aber mögen … nein, ich glaube nicht, dass Dayindi gute Freunde im Lager hat.«
    Emma verkniff sich die Bemerkung, dass diese Tatsache sie kein bisschen wunderte. Denn wenn es im Clan einen Menschen gab, für den Nächstenliebe, Mitgefühl und Gnade absolute Fremdwörter waren, dann war das Dayindi.
    Jedes Mitglied der Gemeinschaft hatte, wie Emma inzwischen wusste, seine ganz bestimmte Funktion: So war

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