Der Ruf des Kookaburra
jedenfalls mit Feuereifer – soweit seine Kräfte eben reichten.
Die Folgen der monatelangen Folterung waren noch lange nicht überwunden.
Es klopfte. Leise, um die Schlafenden nicht zu wecken, ging Emma durch das kleine Zimmer. Sie trat auf den Flur des Gasthauses und zog die Tür hinter sich ins Schloss.
»John! Wie schön, dass du mich besuchst.«
Emma lächelte.
»Komme ich nicht jeden Tag, um nach dir zu sehen?«
»Doch. Und dafür stehe ich tief in deiner Schuld.«
Früher hätte er sie auf solche Worte hin geneckt. Heute sah er sie nur aufmerksam an, die graugrünen Augen blickten ernst. Auch ihn hatten die letzten Wochen verändert, von der jungenhaften Leichtfertigkeit war nicht viel übrig geblieben. Bedauern schlich sich in ihr Herz. Aber vielleicht war John auch einfach nur erwachsen geworden.
»Lass uns in den Gastraum gehen«, sagte sie, um ihre Gefühle zu verbergen. »Ich könnte einen Kaffee brauchen.«
Wenig später saßen sie an einem kleinen Tisch vor ihren Tassen. Emma stützte das Kinn in die Hand.
»Du siehst müde aus«, sagte John.
»Das bin ich auch. Carl wacht oft auf, er träumt schlecht. Es verfolgt ihn.«
Rasch trank Emma einen Schluck Kaffee. In manchen Augenblicken erschien ihr das Leid ihres Mannes unerträglich, zumal sie nicht wusste, ob er es je überwinden würde. Carl war misstrauischer als früher, er wirkte ständig angespannt; fast so, dachte Emma, als fühlte er sich immer noch bedroht. Sogar Emma gegenüber war er zurückhaltend und distanziert. Er erzählte nur wenig über seine Gefangenschaft, und wenn, dann brach ihm sofort der Schweiß aus. Lediglich wenn er mit Belle spielte, schien er seine Erlebnisse für einige Momente vergessen zu können.
Ruhig sagte John: »Er braucht Zeit, Emma.«
»Ja. Wahrscheinlich hast du recht.«
Sie schwiegen.
»Emma, ich …« John griff nach ihrer Hand, und Emma zuckte zurück.
Doch dann entschied sie sich, ihm die Hand zu lassen. Sie wollte nicht tun, als sei zwischen ihnen beiden nichts gewesen, und John schien ihr etwas Wichtiges sagen zu wollen.
Er wagte einen neuen Anlauf. »Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden, Emma. Ich gehe zurück nach Sydney.«
Erschrocken starrte sie John an.
Er ging fort?
Sogleich rief sie sich zur Ordnung. Sie hatte ja gewusst, dass dieser Moment irgendwann kommen würde. Außerdem durfte sein Fortgehen ihr nicht wehtun. Natürlich war es in den vergangenen Wochen angenehm gewesen, dass er jeden Tag gekommen und nach ihr geschaut hatte, aber sie konnte nicht erwarten, dass er das bis in alle Ewigkeit hinein fortführen würde.
Sie hatte Carl zurück, ihren Ehemann, der dabei war zu genesen. Das war mehr als genug. Also würde sie John gehen lassen, ohne es ihm durch ihre eigene Traurigkeit noch schwerer zu machen.
Emma sah ihn intensiv an, prägte sich für immer seine Gesichtszüge ein, die dunklen Brauen, den Ausdruck seiner Augen. Sie wusste, dass ihre Trennung unmittelbar bevorstand und dass sie John nicht wiedersehen würde. Abschiedsschmerz stieg in ihr auf, begleitet von einer ruhigen Akzeptanz und, stärker als alles andere, Dankbarkeit. John hatte ihr so sehr geholfen, selbst dann noch, nachdem er Emma als Frau verloren hatte.
Das würde sie ihm nie vergessen.
Unwillkürlich dachte sie an die Tage, die Oskars Tod gefolgt waren.
Zusammen hatten Emma und John sich nach den schrecklichen Geschehnissen auf Oskars Station um alles gekümmert. Zuerst hatten sie Carl und Birrinbirrin nach Warwick gebracht, damit sie anständig versorgt werden konnten. John hatte ihnen zwei Zimmer im Gasthaus gemietet und sich dann auf die Suche nach einem praktizierenden Arzt gemacht.
Der Doktor war noch am gleichen Abend erschienen, hatte Carls zahlreiche Wunden versorgt, ihn verbunden und ihm diverse Stärkungsmittel eingeflößt. Auch um Birrinbirrin kümmerte er sich.
Währenddessen schickte John die Polizei auf Oskars Farm. Er verlangte, dass die storekeepers verhaftet würden; schließlich waren sie maßgeblich daran beteiligt gewesen, Carl zu entführen und monatelang versteckt zu halten. Doch die beiden Männer waren längst über alle Berge. Offensichtlich hatten sie ihren toten Herrn samt Birwain im Schuppen gefunden, die richtigen Schlüsse gezogen und sich aus dem Staub gemacht.
Die nächsten Tage waren erfüllt von trauriger Geschäftigkeit. Birwains Leiche wurde auf einem Ochsenkarren zum Clan gefahren; es war Birrinbirrin, der darauf bestand, den alten Schamanen nicht an
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