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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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nicht mehr ohnmächtig bin: ja.«
    Ihr Blick fiel auf das Holzstück, das Yileen bearbeitete. Es sah aus wie eine große Schale … oder wie eine der Tragen, in denen die Babys des Clans zu schlafen pflegten.
    Eine Trage, registrierte sie. Für zwei Babys.
    Kaum hatte sie den Gedanken zu Ende gedacht, sprudelte es aus ihr heraus: »Yileen, hat deine Frau dir erzählt, was Gunur ihr angekündigt hat?«
    Der Schwarze schwieg.
    Ein Dingo kam herangetrottet und schnupperte an dem Holz herum. Verbissen und ohne den Hund zu beachten, arbeitete Yileen weiter.
    »Es stimmt nicht, dass ihr einen der beiden Säuglinge töten werdet, oder?«, drängte Emma. »Yileen?«
    Abweisend sagte er: »Das Gesetz verlangt es so. Das Gesetz ist unveränderlich.«
    Sie starrte ihn an. »Aber du bist der Vater! Das kannst du doch nicht zulassen!«
    »Emma!« Carls Stimme klang warnend. »Hör auf, dich einzumischen!«
    »Die Anweisung für solche Fälle ist eindeutig«, beharrte Yileen. »Die Ahnen haben sie uns gegeben, und wenn wir uns nicht mehr an die Gesetze halten, dann wird alles zerstört.«
    Diese vermaledeite Gesetzestreue! Wenn er jetzt noch mit dem Blitzmann anfängt wie Birwain, dachte Emma wild, dann schreie ich.
    Doch Yileen fing nicht mit dem Blitzmann an.
    Er sagte überhaupt nichts mehr.
    Und als Emma ihm in die Augen schaute und die abgrundtiefe Verzweiflung in seinem Blick erkannte, die Zerrissenheit und die Trauer, da fehlten auch ihr plötzlich die Worte. Denn Yileen litt nicht weniger als sie selbst – wahrscheinlich sogar mehr.
    An ihrer Stelle sagte Carl gedämpft: »Verzeih uns, mein Freund. Wir sind als Gäste hier und haben kein Recht, eure Sitten zu kritisieren. Emma weiß das. Sei versichert, es ist nur die Liebe zu euch und euren ungeborenen Kindern, die sie dazu treibt, sich immer wieder einzumischen.«
    »Ich weiß. Ich verstehe euch ja auch.« Unglücklich sah Yileen zu ihnen hoch. »Ich habe dieses Gesetz nicht geschaffen. Ich weiß nur, dass es nicht missachtet werden darf. Der Zorn der Geister wäre verheerend.«
    Sein Blick traf sich mit Emmas, und sie sah ihre eigene Ohnmacht darin gespiegelt. Es war unmöglich, das zweite Baby zu retten. Selbst wenn sein Tod Purlimil und Yileen das Herz brechen würde.
    Emmas Gedanken rasten, während sie ihren Weg durch das Lager fortsetzten. Sie passierte mit Carl die Hütten der unverheirateten Männer, die etwas abseits der Behausungen der Paare standen. Emma bemerkte kaum, dass man sie allenthalben respektvoll grüßte; erst als sie bei den ledigen Frauen, den Witwen und jungen Mädchen vorbeikam, fiel ihr auf, dass sie auch dort von jeder einzelnen Schwarzen angelächelt wurde. Ganz offensichtlich nahm niemand es ihr übel, dass sie während des Rituals so unrühmlich zusammengebrochen war – und dass Gunur ihr die Rolle der Henkerin aufgedrängt hatte.
    Doch diese Rolle, dachte Emma wild, würde sie auf keinen Fall spielen! Sie war eine Kämpferin für das Leben, nicht für den Tod. Wenn sie nur wüsste, auf welche Art dieser Kampf geführt werden musste, um in ihrem Sinne auszugehen … wenn sie nur wüsste, wie sie es schaffen konnte, Purlimils todgeweihtes Baby zu retten …
    Emma grübelte immer noch, als Carl und sie den Bach erreichten. Üppig wucherten die Farne entlang des Ufers, das Wasser plätscherte über die glänzenden, moosbedeckten Steine. Emma setzte sich auf einen flachen Felsen.
    Es musste eine Lösung geben! Natürlich gab es eine Lösung. Sie hatte sie nur noch nicht gefunden.
    Carl ließ sich neben ihr auf dem Felsen nieder. Er zog seine Stiefel von den Füßen, und während er sich auch die Strümpfe abstreifte, sagte er: »Wir sind hier, um die Schwarzen zu beobachten, Emma. Nicht, um sie zu belehren. Die Diskussion hatten wir vor wenigen Wochen schon einmal, richtig?«
    »Ja, und wir führen sie weitere hundert Male, wenn es sein muss«, schnappte Emma. »Weil der Tod eines Kindes noch wesentlich schlimmer ist als das Ritual, mit dem sie Birrinbirrin gequält haben!«
    »Wir haben kein Recht«, beharrte Carl, »uns gegen die Eingeborenen zu stellen, nur weil uns eine ihrer Sitten nicht gefällt.«
    »Nicht gefällt?« Emma sah Carl ungläubig ins Gesicht. »Wie kannst du so einfach akzeptieren, was hier passiert? Das ist Mord!«
    »Für uns ist es Mord«, sagte er und zog sich das Hemd über den Kopf. »Für die Eingeborenen ist es ein uralter Weg, die Gemeinschaft am Leben zu erhalten. Es mag uns grausam erscheinen, aber wenn sie

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