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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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mit unnatürlich hoher Stimme zu singen.
    Die anderen Frauen verstummten. Es war nun ganz still, selbst aus dem nächtlichen Regenwald war nichts mehr zu hören. Die ganze Welt schien aus einer lähmenden schwarzen Bewegungslosigkeit zu bestehen, die jeden Ton, jedes Anzeichen von Lebendigkeit verschluckte, so dass nichts übrig blieb als der klagende Gesang der Alten. Ein Gesang, bei dem sich die Härchen auf Emmas Armen aufstellten.
    »Du, duuuuuuu«, sirrte Gunur, während ihr Blick sich bis in Emmas Seele zu bohren schien, »duuuuuu wirst den Tod bringen! Du bist auserwählt, den Tod zu bringen! Du, du, duuuuu wirst den Tod bringen!«
    Ein Raunen ging durch die versammelten Frauen.
    Den Tod, hallte es in Emmas Kopf nach. Sie sollte den Tod bringen.
    Sie sollte den Tod bringen?
    Die Alte lügt!, dachte Emma panisch. Sie will mir Böses unterstellen, sie will mich anschwärzen!
    Alles in ihr bäumte sich gegen Gunurs Worte auf, und ihr Widerstand löste die Erstarrung. Sie schüttelte heftig den Kopf, um wieder klar zu werden, und wollte gerade hitzig ausrufen, dass nicht sie es war, die den Tod eines unschuldigen Babys beschlossen hatte, sondern diese abergläubischen Frauen hier, als ihr bewusst wurde, dass jegliche Ablehnung und jegliches Misstrauen aus Gunurs Augen verschwunden waren.
    Im Blick der Alten, die immer noch dicht vor ihr stand, las Emma nur noch Respekt, vermischt mit Furcht.
    Oh, mein Gott, schoss es Emma durch den Kopf, Gunur glaubt das alles wirklich!
    Ihr Blick flog von einem Gesicht zum anderen. Von Gunur zu Nowalingu, von alten zu jungen Frauen, von denen, die Emma als lustig und offen kannte, zu denen, die zurückhaltender waren.
    Überall entdeckte sie die gleiche Mischung aus Ehrfurcht und Angst.
    Ich bin kein Todesengel!
    Am liebsten hätte sie es herausgeschrien, doch die seltsame unheimliche Stille verschloss ihr den Mund wie klebriges Gift. Flehend suchte Emma den Blick ihrer Freundin. Zumindest Purlimil kannte sie doch! Sie musste doch wissen, dass Emma niemals irgendjemanden verletzen könnte! Geschweige denn ein Baby töten …
    Meine Mutter, zerschlagen am Fuß der Treppe liegend. Die Blutlache, die sich unter mir ausbreitet. Mein Baby. Alle dem Tode geweiht. Ach, Purlimils armes Kind, es darf nicht sterben … nicht noch ein Baby … nicht so …
    Gedanken und Gefühle stoben wild durcheinander und zogen unerbittlich die Kraft aus Emmas Körper. Sie sackte auf dem Stein zusammen, stützte die schweißnasse Stirn in ihre Hände und stieß mühevoll hervor: »Ich bin Forscherin! Sonst nichts. Ich bin kein Werkzeug des Todes, und ich werde dem Willen eurer Geister niemals Folge leisten.« Ein Funke des alten Trotzes glomm in ihr auf, und sie setzte hinzu: »Geister gibt es ja sowieso nicht!«
    Keine der Frauen antwortete ihr. Emma hob den Kopf, der ihr plötzlich viel zu schwer auf dem Hals zu sitzen schien.
    Die Eingeborenen fixierten sie, als sei sie der Sensenmann persönlich.
    Aber das war sie nicht, verdammt! Emma rappelte sich auf, und als sie mit wackeligen Beinen wieder auf dem Schildkrötenstein stand, wiederholte sie lauter: »Ich bringe niemandem den Tod. Im Gegenteil, ich werde alles dafür tun, diesen Tod zu verhindern. Ich stehe Purlimil und ihren Babys bei, mit aller Kraft. Mit aller … mit all meiner … Kraft …«
    Wie wenig davon sie in diesem Moment besaß, merkte sie, als ihre Beine einknickten.
    Im Fallen schienen die düsteren Erwartungen der Eingeborenen sie zu umhüllen. Sterben und Unglück legten sich wie ein Leichentuch über sie.
    Dann schwanden ihr die Sinne.

10
    E mma erwachte im dunklen Zelt.
    Eine Kerze flackerte auf dem Boden. Carl saß neben ihr und hielt ihre Hand; sein Blick war unverwandt auf ihr Gesicht geheftet.
    »Carl«, sagte sie schwach.
    »Willkommen zurück, Amazone.« Seine Stimme klang belegt. Er lächelte, doch sie sah die tiefe Sorge in seinen Augen. »Gott sei Dank bist du endlich wach.«
    Emma befeuchtete ihre trockenen Lippen mit der Zunge. Nur langsam, in unzusammenhängenden Fetzen, kam die Erinnerung zurück. »Was ist passiert? Das Ritual …«
    Carl reichte ihr einen Becher mit Wasser und ließ sie trinken. »Die Frauen haben dich zurückgetragen. Sie sagten, du seist ganz plötzlich ohnmächtig geworden.« Er beugte sich zu ihr herunter und gab ihr einen zarten Kuss auf den Mund.
    Emma schlang die Arme um seinen Hals, und in diesem Moment brach die Erinnerung über sie herein, ohne Vorwarnung und mit der Gewalt

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