Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
Vom Netzwerk:
gefährlich vor. Über allem aber schwebte die bodenlose Angst, dass eines der Babys getötet würde, sobald es Purlimils Leib verlassen hätte, und dass sie, Emma, es vielleicht nicht würde verhindern können.
    Aufgewühlt und nassgeschwitzt kam Emma bei der Geburtsstätte an. Im Gegensatz zu ihr selbst hatte Nowalingu sich auf dem Weg beruhigt und Emma im Laufen erzählt, dass die Frauen des Clans seit jeher an diesem Platz ihre Kinder zur Welt brachten. Schwer atmend sah Emma sich um: Verwitterte, mit Moos bedeckte Felsen lagen auf einer Lichtung, die von hohen Farnen umrahmt wurde wie ein natürliches, grünes Zimmer. Am Rande der Lichtung gab es einen stillen Tümpel, in der Mitte einen einzelnen, knorrigen Baum, vor dem ein Feuer aus Gras und Zweigen qualmte.
    Purlimil lehnte mit geschlossenen Augen breitbeinig und zitternd am Stamm des Baumes, ihr Körper war von einem feinen Schweißfilm bedeckt. Neben ihr stand Gunur, stützte die Gebärende und redete ihr gut zu. Offenbar kam Gunur in der Gemeinschaft nicht nur die Rolle der Ritualleiterin zu, sondern auch die der Hebamme – zumindest bei den Frauen, die, wie Purlimil, keine eigene Mutter als Beistand mehr hatten.
    Zögernd trat Emma näher. Der scharfe Geruch von Urin stieg ihr in die Nase. Darunter mischte sich etwas Fremdes, Süßliches, das ebenfalls von der Flüssigkeit aufzusteigen schien, die das Moos unter Purlimils geöffneten Beinen tränkte. Fruchtwasser, vermutete Emma und hielt sich reflexartig die Hand vor Mund und Nase.
    Sie hatte nicht geahnt, dass das Gebären mit solchen Mengen an Körperflüssigkeit einherging. Woher hätte sie es auch wissen sollen? In Deutschland war die Kenntnis der Geburtsvorgänge verheirateten Frauen vorbehalten gewesen, und hier in Australien gab es niemanden, der Emma nach ihrer Hochzeit in derlei Geheimnisse eingeweiht hätte. Ob Carl es ihr wohl erklärt hätte, wenn sie schwanger geworden wäre? Schließlich war er Arzt …
    Aber sie wurde ja nicht schwanger. Müßig, darüber nachzugrübeln.
    Purlimil wimmerte, dann übergab sie sich würgend neben das qualmende Feuer.
    Emmas Magen fing an zu rebellieren.
    »Gut so«, sagte Nowalingu neben ihr zufrieden. »Jetzt wird das erste Baby bald kommen. Siehst du, Purlimil hockt sich schon hin.«
    Die gelassene Stimme des jungen Mädchens brachte Emma zur Besinnung. Sie ärgerte sich über sich selbst: Was stand sie hier wie eine Steinstatue herum, ekelte sich und dachte an ihre eigenen Probleme, ein Kind zu bekommen? Vor ihren Augen kamen gerade zwei Babys zur Welt!
    Energisch drängte sie die Übelkeit zurück. Purlimil hatte nach ihrem Beistand verlangt, und verflucht, den würde sie auch bekommen! Den üblen Geruch nach Urin und Erbrochenem ignorierend trat Emma zu ihrer Freundin und ging neben ihr in die Knie.
    Purlimil hob den Kopf und sah Emma mit vor Schmerzen verschleiertem Blick an. »Wirst du uns helfen?«, flüsterte sie, bevor eine neue Wehe sie überrollte und sie gequält aufstöhnte.
    »Natürlich helfe ich dir«, versicherte Emma ihr tröstend und wollte gerade fragen, was sie tun sollte, als sie die tiefe Erleichterung in Purlimils Augen wahrnahm.
    Doch erst als ihr mit einiger Verspätung aufging, dass Purlimil »uns« gesagt hatte, verstand sie die Frage der Freundin wirklich.
    Die Art Hilfe, die Purlimil von Emma erbat, ging über alles hinaus, was Gunur oder Nowalingu ihr würden geben können.
    Jegliches Zeitempfinden kam Emma abhanden, während Purlimil sich keuchend durch die Geburt kämpfte. Gunur und Emma hielten abwechselnd ihre Hand, kühlten ihr die Stirn mit nassen Blättern und feuerten sie an, wenn Purlimil die Kraft zu verlassen schien. Als endlich das erste Baby aus Purlimils gequältem Leib glitt, stieg ein erleichtertes Hochgefühl in Emma auf – bis sie mit Entsetzen sah, wie Gunur mit den Zähnen die Nabelschnur durchbiss und den kleinen verschmierten Jungen sofort danach über das rauchende Feuer hielt. Um Himmels willen, was tat die Alte denn da? Wollte sie das erste Baby etwa auch umbringen, nicht nur das Zweitgeborene?
    Emma wollte schon aufspringen, um Gunur von ihrem unseligen Tun abzuhalten. Doch da spürte sie Purlimils Hand auf ihrem Arm.
    »Keine Gefahr«, sagte die Freundin matt und lächelte.
    Zögernd setzte Emma sich wieder auf den Boden, ließ Gunur jedoch nicht aus den Augen.
    Das Baby hustete im Qualm, und die Alte grunzte zufrieden. Sie legte den kleinen Jungen in sicherem Abstand zum Feuer auf den Boden.

Weitere Kostenlose Bücher