Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
überzeugend gespielter Lässigkeit und faltete den Standard zusammen.
»Ja, das ist sie«, sagte Strike und fragte sich, ob er sich nur einbildete, dass diese vier Silben wie Prahlerei klangen. »Wollen Sie Käse mit Essiggurke oder Eiersalat?«
Robin griff aufs Geratewohl zu und kehrte zum Essen an ihren Schreibtisch zurück. Ihre neue Hypothese darüber, wo Strike die Nacht verbracht hatte, war noch aufregender als ihre Reaktion auf die Fortschritte bei den Ermittlungen. Es würde schwierig sein, ihr Bild von ihm als einem bitter enttäuschten Romantiker mit der Tatsache zu vereinbaren, dass er gerade erst (es erschien unglaublich, aber trotzdem hatte sie den erbärmlichen Versuch, seinen Stolz zu verbergen, als solchen erkannt) mit einem Topmodel geschlafen hatte.
Das Telefon klingelte erneut. Strike, der den Mund voll hatte, hob eine Hand, um Robin zuvorzukommen, schluckte und meldete sich selbst.
»Cormoran Strike.«
»Strike, hier ist Wardle.«
»Hi, wie geht’s?«
»Nicht so gut. Wir haben eine Leiche mit Ihrer Karte in der Tasche aus der Themse gefischt. Jetzt fragen wir uns natürlich, was Sie uns darüber erzählen können.«
10
Es war das erste Taxi, das Strike sich seit dem Tag zu benutzen berechtigt fühlte, an dem er seine Sachen aus Charlottes Apartment fortgeschafft hatte. Während sie in Richtung Wapping fuhren, verfolgte er gedankenversunken die Fahrpreisanzeige. Der Taxifahrer war entschlossen, ihm zu erklären, weshalb Gordon Brown eine verdammte Schande sei. Strike schwieg dazu.
Es war nicht das erste Leichenschauhaus, das Strike besuchte, und bei Weitem nicht die erste Leiche, die er in Augenschein nahm. Er war fast immun geworden gegenüber der Zerstörung durch Schusswunden, gegenüber zerfetzten, zerrissenen und zerschmetterten Leibern, deren Eingeweide, glänzend und blutig, vor ihm lagen wie in einer Fleischereiauslage. Strike war nie sehr empfindlich gewesen; selbst grauenhaft verstümmelte Leichen, kalt und weiß in ihren Kühlfächern, waren ihm in seinem Job hygienisch und gewöhnlich vorgekommen. Es waren die Toten gewesen, die er in ihrem Urzustand gesehen hatte, nicht von Beamten und Verfahren aufgebahrt und aufbereitet, die später auferstanden und durch seine Träume krochen. Seine Mutter in ihrem Lieblingskleid – bodenlang, mit Glockenärmeln – im Leichenschauhaus: jung und trotzdem ausgemergelt, aber ohne sichtbare Einstiche. Sergeant Gary Topley, der im blutbesprenkelten Staub einer afghanischen Straße lag, das Gesicht unversehrt, aber keinen Körper mehr unterhalb der Rippen. Er hatte im heißen Sand gelegen und versucht, nicht in Garys ausdrucksloses Gesicht zu sehen, und sich davor gefürchtet, an sich selbst hinabzublicken und feststellen zu müssen, wie viel von seinem eigenen Körper fehlte … Aber dann war er in die Bewusstlosigkeit abgeglitten, aus der er erst im Feldlazarett wieder erwacht war.
An einer kahlen Klinkerwand des kleinen Vorraums zum Leichenschauhaus hing ein impressionistischer Kunstdruck. Strike fixierte ihn, fragte sich, woher er ihn kannte, und erinnerte sich schließlich daran, dass er bei Lucy und Greg über dem Kaminsims gehangen hatte.
»Mr. Strike?«, fragte der grauhaarige Pathologiegehilfe, der in weißem Kittel und Latexhandschuhen an der inneren Tür erschienen war.
Es waren fast immer gut gelaunte, freundliche Männer, diese Verwalter der Leichen. Strike folgte ihm in die frostige Helligkeit eines großen fensterlosen Innenraums mit massiven stählernen Kühlfachtüren entlang der rechten Wand. Der geflieste Fußboden fiel zu einem Zentralabfluss hin ab; das Licht war gleißend hell. Ihre Schritte hallten von den harten, glänzenden Oberflächen wider, sodass der Eindruck entstand, eine kleine Gruppe von Männern marschierte in den Raum.
Vor einem der Kühlfächer stand eine fahrbare Metallbahre bereit, und daneben warteten die beiden Kriminalbeamten Wardle und Carver. Ersterer empfing Strike mit einem Nicken und einem gemurmelten Gruß; Letzterer, schmerbäuchig, mit fleckigem Gesicht und Schuppen auf Kragen und Schultern seines Jacketts, grunzte lediglich.
Der Pathologiegehilfe drückte den schweren Hebel der Kühlfachtür herunter. Nun wurden drei anonyme Schädeldächer sichtbar: drei übereinandergestapelte Leichen, jeweils in ein durch häufiges Waschen dünn und welk gewordenes Laken gehüllt. Der Pathologiegehilfe kontrollierte das an das mittlere Leichentuch geklammerte Etikett; es trug keinen Namen, sondern nur
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