Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
ob irgendwo
da draußen vielleicht ein Halbbruder oder eine Halbschwester von dir lebt.‹ Er hat gesagt, dass die Mutter eine Weiße und irgendwann plötzlich verschwunden gewesen sei. Vielleicht hatte sie das Kind auch abgetrieben. Oh Mann, wenn Sie meinen Vater gekannt hätten! Jeden einzelnen Sonntag in der Kirche! Noch auf seinem Totenbett hat er die heilige Kommunion empfangen. So was hätte ich nie von ihm erwartet, niemals.
Ich hätte meiner Mum bestimmt nichts von Dad und dieser anderen Frau erzählt. Aber dann bekomme ich aus heiterem Himmel diesen Anruf. Gott sei Dank war ich gerade zufällig zu Hause auf Heimaturlaub. Allerdings sagte Lula«, er stockte kurz, bevor er ihren Namen aussprach, als wüsste er nicht recht, ob er sie so nennen durfte, »dass sie sofort aufgelegt hätte, wenn meine Mum an den Apparat gegangen wäre. Sie sagte, sie hätte niemanden verletzen wollen. Sie klang wirklich anständig.«
»Ich glaube, das war sie auch«, sagte Strike.
»Schon … aber, oh Mann, das war echt schräg! Was würden Sie sagen, wenn ein Topmodel bei Ihnen anrufen und Ihnen erklären würde, dass sie Ihre Schwester ist?«
Strike dachte an seine eigene bizarre Familiengeschichte. »Wahrscheinlich würde ich ihr glauben«, sagte er.
»Na ja gut, wahrscheinlich schon. Warum sollte sie auch lügen? Jedenfalls dachte ich das damals. Also gab ich ihr meine Handynummer, und wir telefonierten ein paarmal miteinander, wenn sie gerade mit ihrer Freundin Rochelle unterwegs war. Sie hatte alles haarklein arrangiert, damit die Presse auch ja nichts mitbekam! Mir war das nur recht. Ich wollte meiner Mutter die Aufregung ersparen.«
Agyeman hatte ein Päckchen Lambert & Butler aus der Jackentasche gezogen und spielte jetzt nervös mit der Zigarettenschachtel. Bestimmt hatte er die Zigaretten billiger im Army-Supermarkt gekauft, dachte Strike und spürte sofort einen nostalgischen Stich.
»Sie ruft mich also an, einen Tag bevor … bevor es passierte«, fuhr Jonah fort, »und bettelt mich an, dass wir uns sehen müssten. Dabei hatte ich ihr schon gesagt, dass ich diesmal keine Zeit hätte, mich mit ihr zu treffen. Mann, die ganze Sache setzte mir höllisch zu. Meine Schwester, das Topmodel. Gleichzeitig hatte meine Mum eine Scheißangst um mich, weil ich bald nach Helmand verlegt werden sollte. Da konnte ich ihr doch nicht aus heiterem Himmel eröffnen, dass Dad noch ein anderes Kind hatte! Nicht in dieser Situation! Also sagte ich Lula, dass ich mich nicht mit ihr treffen könnte.
Sie flehte mich an, ich solle sie wenigstens kurz besuchen, bevor ich wieder abfliegen würde. Sie klang so aufgeregt. Ich sagte, vielleicht könnte ich später noch mal aus dem Haus gehen, Sie wissen schon, nachdem Mum ins Bett gegangen wäre. Ich würde ihr einfach vorschwindeln, dass ich mich noch mit einem Kumpel auf ein schnelles Bier treffen wollte oder so. Lula sagte, ich sollte möglichst spät vorbeikommen, so um halb eins. Also«, fuhr Jonah fort und massierte sich verlegen den Nacken, »ging ich hin. Ich kam bis zur Straßenecke … und sah sie fallen.«
Er wischte sich mit der Hand über den Mund.
»Ich rannte los. Ich rannte einfach los. Ich hatte nicht den leisesten Schimmer, was ich tun sollte. Ich wollte nicht dort sein, ich wollte niemandem irgendwas erklären müssen. Ich wusste, dass sie psychische Probleme hatte, und mir wollte nicht aus dem Kopf, wie aufgeregt sie am Telefon geklungen hatte. Ich dachte: Hat sie mich vielleicht extra hergelockt, damit ich sie springen sehe? Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan. Ganz ehrlich, ich war froh, als ich wieder nach Afghanistan flog. Und damit den ganzen Medienrummel hinter mir ließ.«
Um sie herum herrschte Hochbetrieb, immer mehr Mittagessensgäste drängten in den Pub.
»Ich glaube, Lula wollte Sie so dringend sehen, weil ihre Mutter ihr gerade etwas sehr Wichtiges anvertraut hatte«, sagte Strike. »Lady Bristow hatte reichlich Valium genommen. Ich schätze, die alte Dame wollte dem Mädchen ein schlechtes Gewissen machen, damit es bei ihr blieb, und so erzählte sie Lula, was Tony vor vielen Jahren über John gesagt hatte: dass er seinen jüngeren Bruder Charlie in den Steinbruch geschubst und ihn umgebracht habe. Darum war Lula so aufgelöst, als sie die Wohnung ihrer Mutter verließ, und darum versuchte sie so verzweifelt, ihren Onkel zu erreichen: Sie wollte herausfinden, ob etwas Wahres an dieser Geschichte war. Und ich glaube, sie wollte Sie so dringend
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