Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
Mannes mit schütterem Haar und Anzug und einer reifen Rothaarigen in engen Jeans. Besagter Mann war Mr. Geoffrey Hook; die Frau an seiner Seite indes hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit Mrs. Hook, die Strikes einzige Klientin gewesen war, bevor Bristow sein Büro betreten hatte. Strike steckte das Bild in Mrs. Hooks Akte und beschriftete es mit der Nummer 12.
Robin wandte sich wieder dem Computer zu.
Einige Augenblicke lang herrschte Stille, unterbrochen nur vom Rascheln des Fotopapiers und dem Klackern von Robins kurz geschnittenen Fingernägeln auf der Tastatur. Die Tür zu Strikes Büro war geschlossen, um die Campingliege und die anderen Hinweise darauf, dass es derzeit bewohnt war, zu verbergen. Künstlicher Limettenduft lag schwer in der Luft; Strike hatte vor Robins Ankunft großzügigen Gebrauch von einem billigen Raumspray gemacht. Bevor er sich zu ihr an den Schreibtisch gesetzt hatte, hatte er so getan, als würde er den Verlobungsring erst jetzt bemerken – damit sie nicht auf den Gedanken kam, er würde ihr Avancen machen. Er hatte ihr fünf Minuten lang höfliche und betont unpersönliche Fragen über ihren Zukünftigen gestellt und herausgefunden, dass es sich um einen Bilanzbuchhalter namens Matthew handelte, der erst kürzlich seine Ausbildung beendet und eine neue Stelle in der Hauptstadt angetreten hatte; dass Robin im vergangenen Monat aus Yorkshire zu ihm gezogen war und dass die Aushilfstätigkeit nur zur Überbrückung diente, bis sie eine Festanstellung gefunden hatte.
»Glauben Sie, dass sie auf einem dieser Bilder zu sehen ist?«, fragte Robin nach einer Weile. »Die Frau aus der Therapie, meine ich.«
Auf dem Bildschirm waren Reihe um Reihe gleich großer Fotos von einer oder mehreren Personen in dunkler Kleidung angeordnet, die sich von links nach rechts bewegten und offenbar auf dem Weg zu Lula Landrys Trauerfeier waren. Im Hintergrund eines jeden Bildes konnte man die unscharfen Gesichter einer Menschenmenge hinter einer Absperrung erahnen.
Aus den Fotos stach die Aufnahme einer sehr großen, blassen Frau heraus. Sie hatte ihr hellblondes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und auf ihrem Kopf saß ein Arrangement aus schwarzem Netz und Federn. Strike erkannte sie sofort – jeder wusste, wer sie war: Ciara Porter, das Model, in deren Gegenwart Lula die längste Zeit ihres letzten Tages auf Erden verbracht hatte; die Freundin, die zusammen mit ihr auf einer der berühmtesten Aufnahmen ihrer Karriere zu sehen gewesen war. Sie schritt ebenso anmutig wie betroffen und offenbar ohne Begleitung zu der Beerdigung, da keine körperlose Hand ihren dünnen Arm oder ihren langen Rücken stützte.
Neben Porter war ein Paar abgebildet. Die Fotografie war mit Filmproduzent Freddie Bestigui mit Gattin Tansy unterschrieben. Bestigui hatte mit seinen kurzen Beinen, dem breiten Brustkorb und dem massigen Nacken die Statur eines Bullen. Das Gesicht unter dem grauen Bürstenhaarschnitt stellte eine verknitterte Ansammlung von Falten, Dellen und Muttermalen dar, aus der wie ein Tumor die fleischige Nase ragte. Nichtsdestotrotz machte er in seinem teuren schwarzen Mantel und mit seiner spindeldürren jungen Frau am Arm eine beeindruckende Figur. Tansy selbst versteckte sich hinter dem hochgeschlagenen Pelzkragen ihres Mantels und einer gewaltigen runden Sonnenbrille.
Das letzte Foto in der obersten Reihe zeigte Designer Guy Somé . Der schlanke Schwarze trug einen mitternachtsblauen, extravagant geschnittenen Gehrock. Da das Licht ungünstig auf seinen geneigten Kopf fiel und sich das Blitzlichtgewitter in drei großen Diamantohrringen in seinem Ohrläppchen spiegelte, war sein Gesichtsausdruck kaum zu erkennen. Wie Porter schien auch er allein gekommen zu sein, obwohl eine kleine Gruppe Trauernder, die einer eigenen Bildunterschrift offenbar nicht würdig waren, ebenfalls auf der Aufnahme zu sehen war.
Strike rückte den Stuhl näher an den Bildschirm, hielt dabei aber eine Armeslänge Distanz zu Robin. Eines der unbenannten Gesichter, zur Hälfte am Bildrand abgeschnitten, gehörte John Bristow – leicht zu erkennen an der kurzen Oberlippe und den Hasenzähnen. Er hatte den Arm um eine untröstlich anmutende ältere Dame mit weißem Haar gelegt; die unverhohlene Trauer auf ihrem eingefallenen, totenbleichen Gesicht war geradezu ergreifend. Hinter den beiden stand ein großer, arrogant wirkender Mann, dem die Umstände, in denen er sich befand, sichtlich zu missfallen
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