Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
Models.«
»Schon kapiert.«
»Genau. Also … ›Ein Jahrhundert nach Emmeline Pankhurst scheint es der größte Lebenstraum einer ganzen Generation pubertierender Mädchen zu sein, auf einen zweidimensionalen Avatar reduziert zu werden, eine Anziehpuppe, deren vorgeblich so schillernde Abenteuer eine Seelenqual verdecken, die bei Lula Landry derart groß war, dass sie sich aus einem Fenster im dritten Stock stürzte. Aussehen ist alles – Modedesigner Guy Somé wies die Presse umgehend auf den Umstand hin, dass sie in einer seiner Kreationen in den Tod gesprungen war, was dazu führte, dass sie innerhalb von vierundzwanzig Stunden restlos ausverkauft war. Welche Werbebotschaft könnte überzeugender sein als die Tatsache, dass Lula Landry ihrem Schöpfer in Somé gegenübertreten wollte?
Nein, es ist nicht die junge Frau, um die wir trauern. Für uns war sie kaum realer als die Grazien aus Dana Gibsons Feder. Wir betrauern die physische Hülle, die uns aus unzähligen Boulevardmagazinen und Klatschblättchen entgegenstarrte; den Körper, das Image, das uns Kleider und Handtaschen verkaufte und einen Hauch Prominenz bescherte, sich nach seinem Ableben allerdings als ebenso leer und flüchtig wie eine Seifenblase erwies. Was wir wirklich vermissen – wenn wir uns diese schreckliche Wahrheit nur eingestehen könnten! –, sind die unterhaltsamen Anekdoten aus dem Leben dieses superschlanken Gutelaune-Girls, dessen überzeichnete Existenz mehr oder weniger aus Drogenmissbrauch, Ausschweifungen, Designermode und der unsteten Beziehung zu ihrem berüchtigten Lebensgefährten bestand.
Landrys Beerdigung wurde von der Boulevardpresse so detailliert wie eine Promihochzeit abgefeiert. Die Journaille lebt vom Ruhm anderer, und ihre Herausgeber werden Landrys Tod sicherlich länger betrauern als die meisten anderen. Wir durften tränenüberströmte Berühmtheiten bewundern; doch ihrer Familie, die sich überraschenderweise als wenig fotogen erwies, wurden nur winzige Abbildungen zugestanden.
Tatsächlich ging mir allein die Reaktion einer Trauernden zu Herzen. Auf die Frage eines Mannes, den sie möglicherweise nicht als Reporter erkannte, berichtete sie, Landry in einer therapeutischen Einrichtung kennengelernt und sich mit ihr angefreundet zu haben. Sie hatte auf einer der hinteren Bänke Platz genommen, um Abschied zu nehmen, und verließ die Trauerfeier so still und leise, wie sie gekommen war. Anders als viele andere, mit denen Landry zu Lebzeiten Umgang hatte, hat diese Frau ihre Geschichte nicht an die Medien verkauft. Dieser Umstand könnte uns etwas über die echte Lula Landry verraten – jene Lula Landry, die eine herzliche Freundschaft zu einer ganz gewöhnlichen Frau unterhielt. Was den Rest von uns angeht …‹«
»Hat diese ganz gewöhnliche Frau aus der therapeutischen Einrichtung auch einen Namen?«, unterbrach Strike.
Robin überflog schweigend den Artikel.
»Nein.«
Strike kratzte sich das nachlässig rasierte Kinn.
»Bristow hat nichts von einer Bekannten aus einer therapeutischen Einrichtung gesagt.«
»Glauben Sie, dass die Frau wichtig ist?«, fragte Robin neugierig und drehte sich auf ihrem Bürostuhl zu ihm um.
»Es wäre bestimmt interessant, mit jemandem zu reden, der Landry aus der Therapie und nicht aus irgendeinem Club kannte.«
Strike hatte Robin nur deshalb mit der Recherche nach Landrys Bekanntenkreis beauftragt, weil ihm sonst keine Tätigkeit für sie eingefallen war. Sie hatte bereits mit Derrick Wilson, dem Mann vom Sicherheitsdienst, der in jener Nacht am Empfang gesessen hatte, telefoniert und für Strike einen Termin am Freitagmorgen im Phoenix Café in Brixton vereinbart. Die heutige Post hatte lediglich aus zwei Wurfsendungen und einer Mahnung bestanden; in Ermangelung zu beantwortender Anrufe hatte sie inzwischen alles, was sich in dem Büro alphabetisch, nach Gattung oder Farbe ordnen ließ, sortiert.
Beeindruckt von ihren am Vortag zur Schau gestellten Google-Fähigkeiten, hatte er ihr also diese zugegebenermaßen sinnlose Aufgabe übertragen. Sie hatte die letzte Stunde damit verbracht, ihm alte Artikel und Meldungen über Landry und ihr Umfeld vorzulesen, während Strike selbst einen Stapel Quittungen, Telefonrechnungen und Fotos gesichtet hatte, die seinen einzigen anderen aktiven Fall betrafen.
»Soll ich versuchen, mehr über diese Frau herauszufinden?«, fragte Robin.
»Bitte«, sagte Strike abwesend und betrachtete gleichzeitig das Foto eines stämmigen
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