Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
nicht gekriegt hat.«
»Was für eine Rolle war das?«
»Drogendealer. In irgendeinem Film.«
Als sie miteinander in Richtung U-Bahn-Haltestelle Brixton weitergingen, kamen sie an einer Gruppe schwarzer Mädchen in Schuluniformen mit blauen Schottenröcken vorbei. Die langen Zöpfe eines der Mädchen erinnerten Strike an seine Schwester Lucy.
»Bestigui wohnt weiterhin in Nummer achtzehn, nicht wahr?«, fragte Strike.
»Oh yeah«, sagte Wilson.
»Was ist mit den anderen beiden Wohnungen?«
»Apartment zwei ist an einen ukrainischen Rohstoffmakler und seine Frau vermietet. Für drei interessiert sich ein Russe, der aber noch kein Angebot abgegeben hat.«
»Sehen Sie eine Chance«, fragte Strike, als sie stehen bleiben mussten, weil ein zwergenhafter, bärtiger Mann mit Kapuze, der wie ein alttestamentarischer Prophet aussah, sich vor ihnen aufbaute und ihnen die Zunge herausstreckte, »dass ich mal vorbeikommen und mich dort umsehen könnte?«
»Yeah, meinetwegen«, sagte Wilson nach einer Pause, in der sein Blick heimlich über Strikes Unterschenkel glitt. »Rufen Sie mich an. Aber es muss sein, wenn Bestigui nicht da ist, okay? Er ist ein streitsüchtiger Kerl, und ich brauch meinen Job.«
8
Dass er am Montagmorgen nicht allein im Büro sein würde, verlieh Strikes Wochenendeinsamkeit eine gewisse Würze, machte sie weniger verdrießlich, irgendwie wertvoller. Er ließ die Campingliege aufgeklappt; die Tür zwischen Vorzimmer und seinem Büro blieb offen stehen; er konnte Körperfunktionen nachgeben, ohne fürchten zu müssen, Anstoß zu erregen. Den künstlichen Limettengeruch hatte er satt, und er schaffte es, das lackverklebte Fenster hinter seinem Schreibtisch aufzureißen, sodass kalter, frischer Wind in die muffigen Ecken der beiden kleinen Räume fuhr. Indem er jede CD , jeden Track mied, der ihn an die quälenden, herrlichen Phasen mit Charlotte hätte erinnern können, spielte er laut Tom Waits auf dem kleinen CD -Player, den er schon abgeschrieben hatte, bis er ihn doch auf dem Boden eines der Kartons entdeckte, die er aus Charlottes Wohnung mitgebracht hatte. Er stellte seinen tragbaren Fernseher mit der kümmerlichen Zimmerantenne auf; er stopfte seine getragenen Sachen in einen schwarzen Müllsack und ging damit eine halbe Meile weit zum nächsten Waschsalon; nach der Rückkehr ins Büro hängte er seine Hemden und Unterwäsche an eine Leine, die er durchs Vorzimmer spannte, und verfolgte anschließend das Dreiuhrspiel zwischen Arsenal und den Spurs.
Bei all diesen profanen Tätigkeiten hatte er das Gefühl, das Gespenst um sich zu haben, das ihm in den Monaten im Lazarett zugesetzt hatte. Es lauerte in den Ecken seines schäbigen Büros; er konnte es flüstern hören, wenn seine Konzentration auf die jeweilige Aufgabe nachließ. Es drängte ihn, darüber nachzudenken, wie tief er gesunken war: sein Alter, seine Mittellosigkeit, sein zerrüttetes Liebesleben, seine Obdachlosigkeit. Fünfunddreißig, flüsterte es, und für jahrelange Plackerei nichts vorzuweisen als ein paar Kartons und mehr Schulden als Haare auf dem Kopf. Das Gespenst versuchte, seinen Blick im Supermarkt, in dem er Instantnudeln kaufte, auf die Bierdosen zu lenken; es verspottete ihn, während er auf dem Schreibtisch Hemden bügelte. Im Lauf des Tages machte es sich über seine selbst auferlegte Gewohnheit lustig, nur im Freien zu rauchen, als wäre er immer noch bei der Army, als könnte dieses lächerliche bisschen Selbstdisziplin seine planlose, glücklose Gegenwart in Form und Ordnung bringen. Er begann, an seinem Schreibtisch zu rauchen, und die Kippen häuften sich in dem billigen Blechaschenbecher, den er vor Jahren aus einer Bar in Deutschland hatte mitgehen lassen.
Aber er hatte Arbeit, redete er sich ein; Arbeit, die ihn über Wasser hielt. Arsenal gewann, sehr zu Strikes Zufriedenheit; er schaltete den Fernseher aus, bot dem Gespenst die Stirn und setzte sich zurück an den Schreibtisch, wo er die Arbeit wieder aufnahm.
Obwohl er heutzutage Beweise auf beliebige Art hätte sammeln und zusammenführen können, hielt Strike sich strikt an die gesetzlichen Vorschriften für Ermittlungen in Strafsachen. Dass er glaubte, nur ein Hirngespinst zu verfolgen, das John Bristows überreizter Fantasie entsprungen war, änderte nichts an der Gründlichkeit und Genauigkeit, mit der er jetzt die Notizen über seine Gespräche mit Bristow, Wilson und Kolovas-Jones ins Reine schrieb.
Gegen achtzehn Uhr, als er eifrig bei der
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