Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
Arbeit war, rief Lucy an. Obwohl sie zwei Jahre jünger war als Strike, schien sie sich als ältere Schwester zu fühlen. Lucy, die sich jung mit einer Hypothek, einem langweiligen Mann, drei Kindern und einem mühsamen Job belastet hatte, schien sich nach Verantwortung zu sehnen, als könne sie nie genug Anker werfen. Strike hatte sie schon immer im Verdacht, sie wolle sich und der Welt beweisen, dass sie anders war als ihre unstete Mutter, die die beiden auf der Jagd nach der nächsten Schwärmerei oder dem nächsten Mann durchs ganze Land geschleppt hatte: von Schule zu Schule, von Wohnung zu besetztem Haus zu Matratzenlager. Von seinen acht Halbgeschwistern war Lucy die Einzige, mit der Strike eine gemeinsame Kindheit gehabt hatte; obwohl er sie lieber mochte als fast jeden anderen Menschen in seinem Leben, war ihre Beziehung oft schwierig, von lang gehegten Ängsten und Streitereien belastet. Lucy konnte nicht verhehlen, dass er ihr Sorgen bereitete und sie enttäuschte. Deshalb neigte Strike dazu, seine persönliche Situation im Gespräch mit ihr stärker zu beschönigen, als er es bei einem Freund getan hätte.
»Na klar, es läuft großartig«, sagte er, während er am offenen Fenster stand, rauchte und die Menschen beobachtete, die in den Läden unter ihm ein und aus gingen. »Das Geschäft hat sich in letzter Zeit verdoppelt.«
»Wo bist du? Ich kann Verkehrslärm hören.«
»Im Büro. Muss Papierkram erledigen.«
»An einem Samstag? Was sagt Charlotte dazu?«
»Sie ist verreist, besucht ihre Mutter.«
»Wie steht’s mit euch beiden?«
»Großartig«, sagte er.
»Sicher?«
»Ja, ganz sicher. Wie geht’s Greg?«
Nach einer kurzen Schilderung der Arbeitsbelastung ihres Ehemanns ging sie wieder zum Angriff über.
»Setzt Gillespie dir immer noch wegen der Rückzahlung zu?«
»Nein.«
»Ich will dir was sagen, Stick …« Dieser Spitzname aus seiner Kindheit war ein schlimmes Vorzeichen; sie versuchte, ihn weichzuklopfen. »Ich hab mich schlaugemacht, und du könntest bei der British Legion einen Antrag stellen, um …«
»Scheiß drauf, Lucy«, sagte er, bevor er sich bremsen konnte.
»Bitte?«
Die Kränkung und Empörung in ihrer Stimme waren ihm nur allzu vertraut; er schloss die Augen.
»Ich brauche keine Hilfe von der British Legion, Luce, verstanden?«
»Du darfst nicht so stolz sein …«
»Wie geht’s den Jungen?«
»Denen geht’s gut. Hör zu, Stick, ich finde es wirklich empörend, dass Rokeby dich von seinem Anwalt verfolgen lässt, obwohl du nie im Leben einen Penny von ihm gekriegt hast. Er hätte es dir schenken sollen, wenn man bedenkt, was du durchgemacht hast und wie viel er dir …«
»Das Geschäft läuft gut. Ich kann das Darlehen zurückzahlen«, unterbrach Strike sie. Unten an der Straßenecke begann ein Teenagerpärchen zu streiten.
»Bist du dir sicher, dass zwischen Charlotte und dir alles stimmt? Wieso besucht sie ihre Mutter? Ich denke, die beiden hassen sich?«
»Sie kommen inzwischen besser klar«, behauptete er, während das Mädchen wild gestikulierte, mit dem Fuß aufstampfte und davonstürmte.
»Hast du ihr schon einen Ring gekauft?«, fragte Lucy.
»Ich dachte, du wolltest, dass ich mir Gillespie vom Leib halte?«
»Kann sie damit leben, keinen Ring zu haben?«
»Sie hat sich großartig verhalten«, versicherte Strike. »Sie sagt, dass sie keinen will; ich soll mein Geld lieber ins Geschäft stecken.«
»Ach, wirklich?«, fragte Lucy. Sie schien weiter zu glauben, sie verstünde es gut, ihre tiefe Abneigung gegen Charlotte zu tarnen. »Kommst du zu Jacks Geburtstagsparty?«
»Wann ist die?«
»Die Einladung hast du seit letzter Woche, Stick!«
Er fragte sich, ob Charlotte sie in einen der Kartons gesteckt hatte, die immer noch unausgepackt auf dem Treppenabsatz standen, weil er im Büro nicht genug Platz für all seine Habseligkeiten hatte.
»Ja, klar, ich komme«, sagte er widerstrebend.
Nachdem sie aufgelegt hatten, setzte er sich wieder an den Computer und arbeitete weiter. Obwohl seine Notizen über die Gespräche mit Wilson und Kolovas-Jones bald aufbereitet waren, blieb ein Gefühl der Frustration zurück. Seit seinem Ausscheiden aus der Army war dies der erste Fall, der mehr als nur Observierung erforderte, und er war wie dafür gemacht, ihm vor Augen zu führen, dass er jeglichen Einfluss und alle Autorität eingebüßt hatte. Filmproduzent Freddie Bestigui – der Mann, der vor Ort gewesen war, als Lula Landry starb – blieb hinter
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