Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
hastig fort, »hab ich sie zu ihrer Mum gefahren und hab gewartet und dann … Das ist die Sache, von der ich Ihnen erzählen wollte, okay? Sie ist aus dem Haus ihrer Mutter gekommen und war wie verwandelt. Völlig anders, als ich sie je erlebt hatte, okay? Still, ganz still. Wie unter Schock oder so. Dann hat sie um einen Kugelschreiber gebeten und angefangen, irgendwas auf ein blaues Blatt Papier zu kritzeln. Hat nicht mit mir geredet. Hat überhaupt nichts gesagt, sondern nur geschrieben. Also hab ich sie zu Vashti gefahren, wo sie sich mit einer Freundin zum Lunch treffen wollte, okay …«
»Was ist Vashti? Was für eine Freundin?«
»Vashti ist ein Laden, eine Boutique, wie sie’s nennen. Mit ’nem Café dabei. Voll angesagt. Und die Freundin war …« Kolovas-Jones schnalzte mit den Fingern, runzelte mehrmals die Stirn. »Ein Mädel, mit dem sie sich angefreundet hatte, als sie beide in der Nervenklinik waren. Scheiße, wie hat sie gleich wieder geheißen? Ich hab die beiden oft rumgefahren. Himmel … Ruby? Roxy? Raquelle? Irgendwas in dieser Art. Sie hat im Wohnheim St. Elmo in Hammersmith gewohnt. Sie war obdachlos.
Jedenfalls geht Lula in den Laden, okay, und obwohl sie mir auf der Fahrt zu ihrer Mum erzählt hatte, sie würde dort essen, kommt sie schon nach ungefähr einer Viertelstunde wieder raus und will heimgefahren werden. Das war verdammt merkwürdig, okay? Und Raquelle, oder wie sie sonst heißt – ihr Name fällt mir bestimmt noch ein –, war nicht bei ihr. Normalerweise haben wir sie immer heimgebracht, wenn die beiden zusammen ausgegangen sind. Und das blaue Papier war fort. Und Lula hat auf der ganzen Heimfahrt kein Wort mit mir gesprochen.«
»Haben Sie dieses blaue Papier den Ermittlern gegenüber erwähnt?«
»Ja. Sie haben’s für wertlosen Scheiß gehalten«, sagte Kolovas-Jones. »Haben auf ’ne Einkaufsliste getippt.«
»Wissen Sie noch, wie es ausgesehen hat?«
»Es war nur blau. Wie Luftpostpapier.«
Er sah auf seine Armbanduhr.
»In zehn Minuten muss ich weg.«
»Das war also das letzte Mal, dass Sie Lula gesehen haben?«
»Ja, richtig.«
Er zupfte an einem Niednagel.
»Was war Ihr erster Gedanke, als Sie hörten, sie sei tot?«
»Weiß nicht«, sagte Kolovas-Jones und biss den Niednagel ab, an dem er gezupft hatte. »Scheiße, ich war echt schockiert. Mit so was rechnet man nicht, okay? Nicht, wenn man jemanden noch vor ein paar Stunden gesehen hat. Die Medien behaupten alle, dass es Duffield war, weil sie in diesem Club Streit gehabt hatten und so. Ich hab’s ihm ehrlich gesagt auch zugetraut. Scheißkerl.«
»Sie haben ihn also mal kennengelernt?«
»Ich hab ihn ein paarmal gefahren«, sagte Kolovas-Jones. Er blähte die Nasenlöcher und verzog das Gesicht, als nähme er gerade einen üblen Geruch war.
»Was halten Sie von ihm?«
»Er ist ein nichtsnutziger Wichser, meiner Meinung nach.« Mit ungeahnter Virtuosität imitierte er eine ausdruckslose, gedehnt sprechende Stimme: » Brauchen wir ihn später noch, Lules? Dann soll er lieber warten, ja?« Kolovas-Jones knisterte vor Wut. »Hat nie direkt mit mir gesprochen. Dämliches, schmarotzendes Stück Scheiße.«
»Kieran ist Schauspieler«, erklärte Derrick sotto voce.
»Bloß Nebenrollen«, gab Kolovas-Jones zu. »Bisher.«
Er schweifte in eine kurze Schilderung der TV -Dramen ab, bei denen er mitgewirkt hatte, und ließ nach Strikes Einschätzung den starken Wunsch erkennen, mehr Geltung zu erhalten, als ihm nach eigenem Dafürhalten bislang beschert war, um jene unberechenbare, gefährliche und alles verändernde Eigenschaft zu erlangen: Berühmtheit. Sie so oft hinten im Wagen zu wissen und von seinen Fahrgästen noch nicht damit angesteckt worden zu sein musste (so dachte Strike) qualvoll, wenn nicht gar barbarisch sein.
»Kieran hat bei Freddie Bestigui vorgesprochen«, sagte Wilson. »Nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Kolovas-Jones mit einem Mangel an Enthusiasmus, der das Ergebnis vorwegnahm.
»Wie sind Sie dazu gekommen?«, fragte Strike.
»Auf dem üblichen Weg«, sagte Kolovas-Jones mit einem Anflug von Hochmut. »Durch meinen Agenten.«
»Nichts daraus geworden?«
»Sie haben sich für eine andere Richtung entschieden«, sagte Kolovas-Jones. »Sie haben die Rolle gestrichen.«
»Gut, Sie haben Deeby Macc an diesem Abend also wo abgeholt? Heathrow?«
»Terminal fünf, ja«, sagte Kolovas-Jones, der wieder auf dem Boden der nüchternen Tatsachen angelangt zu sein schien. Er sah auf die
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