Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
dabei, einen Stapel Handschuhe auf einem runden Tischchen in Augenschein zu nehmen.
Sein einziger Kommentar zu dem grünen Kleid war: »Ja.« Er hatte sie kaum angesehen.
»Na ja, ich weiß nicht recht, ob das wirklich Sandras Farbe ist«, sagte Robin und wurde auf einmal verlegen; schließlich war Strike weder ihr Bruder noch ihr Freund; vielleicht sollte sie ihre Improvisationskunst nicht so weit treiben und sich in einem hautengen Kleid vor ihm präsentieren. Sie zog sich in die Kabine zurück.
Als sie wieder in BH und Höschen dastand, bemerkte sie: »Als Sandra das letzte Mal hier war, saß Lula Landry bei euch im Café. Sandra meinte, sie hätte einfach toll ausgesehen. Noch besser als auf den Bildern.«
»Oh ja, das hat sie«, stimmte ihr die Pinkhaarige zu und drückte das Goldjäckchen an ihre Brust. »Sie war ständig hier, fast jede Woche haben wir sie zu Gesicht bekommen. Möchten Sie das hier mal anprobieren?«
»Sie war sogar an dem Tag hier, an dem sie gestorben ist«, ergänzte die Kollegin mit der Zuckerwattefrisur und half Robin, sich in das Jäckchen zu zwängen. »Und zwar in dieser Garderobe, genau in dieser Kabine.«
»Wirklich?«, fragte Robin.
»Es wird sich nicht schließen lassen, aber es sieht offen sowieso besser aus«, meinte die Rothaarige.
»Nein, das geht nicht, Sandra ist breiter als ich.« Skrupellos opferte Robin die Figur ihrer imaginären Schwägerin. »Ich probiere lieber das schwarze Kleid dort an. Haben Sie gerade gesagt, dass Lula Landry an ihrem Todestag hier drin war?«
»Oh ja«, antwortete die Pinkhaarige. »Es war wirklich sehr traurig. Du hast sie sogar reden hören, oder, Mel?«
Die tätowierte Rothaarige, die gerade ein schwarzes Kleid mit Spitzenbesatz hochhielt, schnaubte nur. Im Spiegel konnte Robin ihr ansehen, dass sie lieber nicht darüber sprechen wollte, was sie – absichtlich oder unabsichtlich – belauscht hatte.
»Sie hat mit Duffield telefoniert, nicht wahr, Mel?«, bohrte die redselige Pinkhaarige nach.
Robin sah, wie Mel leicht die Stirn runzelte. Ungeachtet der Tattoos hatte Robin den Eindruck, dass Mel den beiden anderen Verkäuferinnen möglicherweise vorgesetzt war. Sie schien zu spüren, dass es zu ihrem Job gehörte, Stillschweigen darüber zu bewahren, was sich in diesen cremefarbenen Zelten abspielte, während die beiden anderen für ihr Leben gern getratscht hätten, vor allen Dingen mit einer Frau, die so scharf darauf war, das Geld ihres reichen Bruders unter die Leute zu bringen.
»Bestimmt lässt es sich gar nicht vermeiden, dass man mit anhört, was in diesen … diesen Zeltdingern geredet wird«, kommentierte Robin leicht atemlos, während sie von den drei Verkäuferinnen gemeinschaftlich in das schwarze Spitzenkleid gezwängt wurde.
Mel ließ sich ein klein wenig erweichen.
»Allerdings. Man glaubt kaum, was die Leute alles erzählen, sobald sie hier drin verschwinden. Dabei kann man hierdurch«, sie deutete auf den steifen Rohseidevorhang, »praktisch jedes Wort verstehen.«
In ihre Zwangsjacke aus Spitze und Leder gepfercht, ächzte Robin: »Man sollte meinen, dass Lula Landry vorsichtiger gewesen wäre, wo ihr doch ständig Reporter auf den Fersen waren.«
»Ja«, bestätigte die Rothaarige, »sollte man meinen. Also, ich selbst würde natürlich nie etwas weitererzählen, was ich hier zu hören kriege. Aber jemand anders könnte das tun.«
Ungeachtet der Tatsache, dass sie ihren Kolleginnen offenbar sehr wohl erzählt hatte, was ihr an jenem Tag zu Ohren gekommen war, äußerte sich Robin anerkennend über dieses selten gewordene Berufsethos. »Aber der Polizei mussten Sie es doch erzählen, oder?«, fragte sie, während sie das Kleid straff zog und sich tapfer für das Zuziehen des Reißverschlusses wappnete.
»Die Polizei war gar nicht hier«, erklärte das Zuckerwattemädchen bedauernd. »Ich hab Mel immer wieder gesagt, sie soll hingehen und denen erzählen, was sie gehört hat, aber sie wollte nicht.«
»Es war nichts weiter«, beteuerte Mel eilig. »Und es hätte ja auch nichts geändert. Ich meine, er war nicht dort, oder? Das wurde schließlich bewiesen.«
Strike hatte sich so nah wie möglich an dem Seidenvorhang postiert, ohne dass er dadurch argwöhnische Blicke der anderen Kundinnen und Verkäuferinnen auf sich zog.
In der Zeltkabine zerrte die Pinkhaarige den Reißverschluss zu. Zentimeter um Zentimeter wurde Robins Brustkorb in das verdeckt eingearbeitete Korsett gequetscht. Strike begann, sich auf
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