Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
kaschieren.
»Ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, dass Tony je irgendjemanden wirklich geliebt hat«, erklärte Bristow aus freien Stücken, als sie kurz zur Seite traten, um ein behelmtes Kind vorbeizulassen, das sich auf einem Skateboard zu halten versuchte. »Wohingegen meine Mutter ein durch und durch liebevoller Mensch ist. Sie liebte ihre drei Kinder von Herzen, und manchmal habe ich das Gefühl, dass Tony das nicht recht war. Ich weiß auch nicht, warum. Wahrscheinlich ist das einfach seine Art. Nach Charlies Tod kam es zwischen ihm und meinen Eltern zum Bruch. Natürlich hätte ich nichts davon mitbekommen sollen, aber ich hörte doch so einiges. Tony unterstellte Mum mehr oder weniger, dass sie schuld an Charlies Tod sei, dass sie Charlie nicht unter Kontrolle gehabt habe. Mein Vater warf Tony daraufhin aus dem Haus. Erst nach Dads Tod versöhnten sich Mum und Tony wieder.«
Zu Strikes großer Erleichterung hatten sie inzwischen die Exhibition Road erreicht, wo sein Hinken nicht mehr so deutlich zu sehen war.
»Glauben Sie, dass sich zwischen Lula und Kieran Kolovas-Jones etwas abgespielt hat?«, fragte er, während sie die Straße überquerten.
»Nein. Es ist typisch für Tony, sofort den unappetitlichsten Schluss zu ziehen, den er sich nur ausmalen kann. Er hat Lula immer nur das Schlimmste unterstellt. Oh ja, Kieran wäre bestimmt sofort zu allem bereit gewesen, aber Lula war völlig in Duffield verschossen – Gott sei’s geklagt!«
Sie spazierten die Kensington Road hinunter, den grünen Park zu ihrer Linken, und bogen dann ab in das Areal der Botschaften und Royal Colleges.
»Wieso hat Ihr Onkel eigentlich nicht mit Ihnen gesprochen, als er an jenem Tag Ihre Mutter besuchte?«
Die Frage schien Bristow höchst unangenehm zu sein.
»Hatten Sie irgendeine Meinungsverschiedenheit?«
»Nein … jedenfalls nicht direkt«, sagte Bristow. »Wir hatten in der Kanzlei zu der Zeit jede Menge zu tun. Ich … kann das nicht näher ausführen. Es ist vertraulich.«
»Hatte es etwas mit dem Nachlass von Conway Oates zu tun?«
»Woher wissen Sie das?«, fragte Bristow scharf. »Hat Ursula Ihnen davon erzählt?«
»Sie hat es erwähnt.«
»Allmächtiger. Keinen Funken Diskretion. Keinen einzigen.«
»Ihr Onkel hätte Mrs. May eine solche Indiskretion nicht zugetraut.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Bristow lachte verächtlich. »Es ist – also, ich kann Ihnen wohl vertrauen. Bei solchen Fällen reagiert eine Kanzlei wie unsere besonders sensibel, weil bei einem Mandantenstamm wie dem unseren – mit großem Vermögen – auch nur das leiseste Gerücht einer finanziellen Unregelmäßigkeit tödlich wirkt. Conway Oates führte bei uns ein sehr ansehnliches Treuhandkonto. Natürlich sind noch alle Gelder da und korrekt abgerechnet; aber die Erben bekommen den Hals nicht voll und behaupten jetzt, wir hätten das Vermögen falsch verwaltet. Wenn man bedenkt, wie turbulent der Markt war und wie widersprüchlich Conways Anweisungen gegen Ende wurden, sollten sie dankbar sein, dass überhaupt noch etwas übrig ist. Tony ärgert sich sehr über die ganze Sache und … Na wenn schon; er gibt gern anderen die Schuld. Es gab einige unschöne Szenen. Tony hat auch mir gehörig den Kopf gewaschen. Wie üblich.«
Strike erkannte an der fast sichtbaren Last, die sich allmählich auf Bristows Schultern senkte, dass sie sich der Kanzlei näherten.
»Ein paar wichtige Zeugen konnte ich bisher noch nicht befragen, John. Wäre es möglich, dass Sie den Kontakt zu Guy Somé für mich herstellen? Seine Leute haben offenbar die Anweisung, niemanden in seine Nähe zu lassen.«
»Ich kann es versuchen. Ich rufe ihn gleich heute Nachmittag an. Er hat Lula vergöttert; bestimmt wird er helfen wollen.«
»Und dann wäre da noch Lulas leibliche Mutter.«
»Ach ja«, seufzte Bristow. »Ich muss ihre Adresse noch irgendwo haben. Eine grässliche Frau.«
»Kennen Sie sie?«
»Nein, ich gehe nach dem, was Lula mir erzählt hat und was in der Zeitung stand. Lula wollte um jeden Preis herausfinden, woher sie stammte, und ich glaube, dass Duffield sie dabei ermutigt hat – ich habe den starken Verdacht, dass er die Geschichte der Presse zugespielt hat, obwohl sie das immer abstritt … Jedenfalls spürte sie irgendwann diese Higson auf, die ihr erklärte, dass Lulas Vater ein afrikanischer Student gewesen sei. Keine Ahnung, ob das stimmte. Mit Sicherheit war es aber genau das, was Lula hören wollte. Daraufhin ging
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