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Der Samenbankraub: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Der Samenbankraub: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Titel: Der Samenbankraub: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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Chicagoern den Anblick von halbnackten Wilden zu ersparen, sondern um die Engel warm zu halten, doch die Kälte schien ihnen wenig auszumachen. Timothy ging von einem Ponton zum anderen, ließ sie abheben und zeigte den Burschen, wie sie sie mit den Händen bewegen konnten; es wäre unmöglich gewesen, sie in der Bedienung der Steuergeräte zu unterweisen. Dann kletterte er wieder in »Marilyn«, ließ sich steigen, bis er den ganzen Zug überblicken konnte, und sprengte nach einer Minute der Besinnung den Rest der Mauer. Der Weg war frei. Falls zufällig eine Streife vorbeikam, würde sie von einem Kommando des UNDERGROUND außer Gefecht gesetzt werden.
    Timothy formierte die Plasmakugel, die, von einem Magnetstrahl freischwebend in der Luft gehalten, ein paar Meter vor »Marilyn« herfliegen und als Projektionsfläche dienen sollte. Er hatte vier Spots vorbereitet, auf denen Milky Instant den Engeln scheinbar zuwinkte, ihr zu folgen, anzuhalten, nach rechts oder links abzubiegen. Akustische Signale waren ihm zu gefährlich erschienen; andererseits konnte er unmöglich »Marilyn« als fliegende Zielscheibe vor dem Zug herschweben lassen. Wenn die Scharfschützen der NSA und der Polizei jetzt das Feuer auf Milky Instant eröffneten, würden sie buchstäblich in die Luft schießen. Timothy hoffte, daß es gar nicht erst soweit kommen würde. Jetzt, da er die Engel gesehen hatte, würde es ihm noch schwerer fallen, sie im Stich zu lassen, aber er hatte nicht nur Anne versprechen müssen, seine Mission bei Gefahr sofort abzubrechen. Der IK hatte nur zögernd diesem risikoreichen Unternehmen zugestimmt, Timothys Leben sei wichtiger als tausend Engel.
    Der erste Teil des Weges war problemlos, die Straßen wirkten wie ausgefegt. Heute saß ganz Chicago vor dem Videoschirm oder stand Spalier an einer der Hauptstraßen, um die Ankunft des Präsidenten auf dem Flughafen und dann die Parade durch die Stadt zu verfolgen, der Veterans’ Day 60 war schließlich eines der ganz großen Ereignisse, dazu kam in diesem Jahr der Präsident der Staaten, und das Wetter war sagenhaft schön: zwar kühl, aber nahezu smogfrei.
    Als der Zug der Engel sich der Kreuzung Kilbournstraße, Eisenhower Exway 61 näherte, flog Timothy ein Stück voraus. Es hatte geklappt, Butterbottom wartete mit mindestens fünf Kamerateams.
    Es war Napoleons Idee gewesen, Butterbottom einzuschalten. Wenn man etwas Illegales nicht heimlich tun kann, so hatte Napoleon erklärt, dann muß rian es besonders öffentlich tun. Und Butterbottom war das Nonplusultra an Öffentlichkeit. Er war geil auf eine Sensation für seine Sendung »Hallo Fans!« und bereit, für einen Exklusivbericht seine eigene Mutter und seine eigenen Kinder zu verkaufen, das durfte man getrost wörtlich nehmen: Den Pulitzerpreis hatte er für eine minutiöse Schilderung des Selbstmordes seiner Großmutter bekommen, den Video Award für eine Reportage über die Psychotrips seiner minderjährigen Tochter.
    Timothy hatte ihm die Nachricht zuspielen lassen, er würde heute an dieser Kreuzung die Sensation seines Lebens finden. Um es glaubwürdig zu machen, hatte der Informant zehntausend Dollar für die Exklusivität verlangt, und Butterbottom war sofort bereit gewesen, sie zu bezahlen, nach der Sendung, versteht sich; er hoffte wohl, endlich den begehrten und mit einer viertel Million dotierten »Ottokar« zu erringen. Timothy gab ihm jetzt auf der vereinbarten Frequenz das Codewort »Himmel«, und Butterbottom antwortete wie aus der Pistole geschossen »und Hölle«. Er hatte keine Ahnung, mit wem er sprach, der Modulator verzerrte Timothys Stimme derart, daß sie auch bei späterer Untersuchung der Aufzeichnung nicht identifiziert werden konnte.
    »Es ist soweit«, erklärte Timothy, »gleich biegt eine Kolonne halbnackter Wilder in den Exway ein.«
    »Soll das etwa die Sensation sein?« maulte Butterbottom. »Indianershows gibt es doch bei jeder Parade zu Massen.«
    »Aber dies sind weiße Indianer. Und richtige Wilde. Und zugleich echte Chicagoer: Über tausend Kinder und Jugendliche, Engel, die seit zwölf Jahren unentdeckt im PARIA gelebt haben und heute ausbrechen. Die meisten von ihnen wurden im PARIA geboren. Ist das etwa keine Sensation: Der Umzug der PARIA-Engel? Während von der einen Seite die Parade und der Präsident anrücken, kommt ihnen von der anderen Seite der Zug der Engel entgegen. Sie können die Bilder von den beiden Kolonnen abwechselnd senden, und irgendwo müssen sie sich

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