Der Samenbankraub: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
wußte – er hielt sich strikt an den Grundsatz: Mein Computer muß alles wissen, ich nur, wie ich den Computer für mich arbeiten lassen muß –, schon gar nicht verriet er ihr, daß er seit dem Eisberg-Fall eine geradezu panische Scheu vor körperlichem Einsatz hatte.
»Last not least«, schloß Inger, »Sie sind ein berühmter Feinschmecker, und da ich Sie betreue, darf ich alle Tage mit Ihnen essen.«
»Wenn Sie mir einen Tip geben, was Sie besonders mögen«, sagte Timothy, »bestelle ich es bei Jennifer.«
Ingers Arbeitsraum war mit allen Schikanen eingerichtet, an einer großen Monitorwand sah man auf Dutzenden von Bildschirmen alle Eingänge zu Bentley-Cottage, die Hausfronten, die Umgebung, den Grenzstreifen, einen breiten betonierten Ring mit Radar-, Sonar- und Sonadar-Überwachung, bekam einen lückenlosen Überblick über die Küste von Seabridge, die viel länger war, als es Timothy vermutet hatte, und von den mächtigen Molen des ehemaligen Gezeitenkraftwerkes begrenzt wurde. Ingers Computer machte einen vorzüglichen Eindruck, sie sagte, daß sie ihn ohne große Umstände mit fast allen offiziellen und einer Vielzahl von Firmen-Gehirnen koppeln könne, und sie bot Timothy eine Direktschaltung zu Napoleon an, falls er lieber mit seinem eigenen Computer arbeiten wolle.
»Ich glaube, das wird kaum nötig sein«, sagte Timothy. Er hatte nicht die Absicht, Napoleon mit irgendeinem Elektronengehirn der Welt zusammenzuschalten, es sei denn, um das andere Gehirn anzuzapfen und Informationen zu überspielen, doch dazu mußte er bei Napoleon sitzen. Timothy legte sich in einen der Sessel, ein Exemplar der jüngsten Generation, das sich nicht nur automatisch auf die bequemste Lage, sondern auch auf die Körpergröße seines Benutzers einstellte, faltete die Hände im Genick und bat Inger um einen ersten Überblick.
Sie war gut vorbereitet, sie hatte nicht nur alle erdenklichen Fakten parat, sie hatte auch eine Videoleitung zur Samenbank geschaltet, so daß sie mit Timothy eine erste Tatortbesichtigung per Bildschirm machen konnte.
Der Fall war an sich einfach, zu einfach: Er schien unmöglich. Bentleys Sperma war in der Samenbank der ALLAMERICAN eingelagert gewesen. Man hatte dort Hunderte von riesigen Tiefkühlschränken. Der größte Teil der Kühlsafes enthielt eine Sammlung von Spermien aller Tierarten, die umfangreichste der Erde, wie Inger sagte. Die ALLAMERICAN besäße nicht nur das Sperma – und in der Eizellenbank ebenso die weiblichen Keimzellen – aller Tiere, die es in den Staaten gab, sondern auch jener von DRAUSSEN, außerdem die Keimzellen der meisten in den letzten Jahrzehnten ausgestorbenen Arten. »Sie könnten also jederzeit, um nur ein Beispiel zu nennen, wieder Elefanten züchten?« erkundigte sich Timothy. »Oder Siamkatzen?«
»Von heute auf morgen. Sobald ein Bedarf dafür besteht«, bestätigte Inger, »oder sobald es profitabel zu werden verspricht.«
Bentleys Sperma war ursprünglich in einem Safe der Nationalbank untergebracht gewesen, der speziell für die Aufbewahrung der Keimzellen von Bigbossen und hohen Beamten hergerichtet worden war, doch das erschien dem alten Fuchs eines Tages nicht mehr sicher genug. Er wollte sein Sperma unter eigener Kontrolle haben. Seine Idee war einfach wie alles Geniale: Wenn man etwas besonders verstecken will, muß man es offen hinstellen. Das war natürlich nicht wörtlich gemeint, die Kapsel mit seinem Sperma wurde selbstverständlich in einem der Kühlsafes untergebracht, doch in einer Deponie, wo niemand ein so außerordentlich kostbares Gut vermuten würde; in einem Kühlsafe für Huftiere, zwischen Eseln und Anden-Gemsen, für die es absolut keinen Bedarf gab. Zudem stand die Kapsel unter der »vierten Wahl« und war mit einem Schild versehen: »Achtung! Wahrscheinlich überlagert. Vor Verwendung unbedingt mit der Direktion sprechen!«
Tatsächlich wurde die Deponie nur bei den jährlichen Kontrollen geöffnet; also konnte die Kapsel eigentlich nur am Tag der letzten Inventur gestohlen worden sein, denn die Kühlsafes waren mit Identicat-Schlössern versiegelt, die auf die jeweiligen Abteilungsleiter geprägt waren, und Automatic-Schreiber registrierten jedes Öffnen. Nur ein Dutzend Mitarbeiter hatte an jenem Tag Zugang zu den Räumen gehabt, sie alle waren seit Jahren bei der ALLAMERICAN beschäftigt und galten als absolut zuverlässig und treu, niemandem von ihnen war ein Diebstahl zuzutrauen, zumal sie genau wußten, daß der
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