Der Samenbankraub: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
Kartoffeln geschält oder Gläser poliert: Je schwieriger das zu lösende Problem, desto banaler die Tätigkeit, die es uns erlaubt, darüber nachzudenken.«
»Haben Sie schon eine Theorie?«
»Viele«, antwortete Timothy. »Zu viele. Aber das ist anfangs immer so. Auf eine gegebene Summe von Fakten kann man stets mehr als eine Theorie anwenden.«
»Und wie kommen Sie dahinter, welche Theorie wahr ist?«
»Die Frage nach dem Wahrheitsgehalt einer Theorie halte ich a priori für falsch«, erklärte Timothy. »Man muß vielmehr fragen: Welche Wahrscheinlichkeit spricht angesichts der verfügbaren Fakten für sie, und welche Erklärung vermag sie auf Grund dieser Fakten zu liefern? Das führt, den richtigen Denkansatz vorausgesetzt, zu Relationen und Relativierungen, Prioritäten der Wahrscheinlichkeit, letztendlich zur Lösung.«
Bentley war sichtlich beeindruckt. »Inger hatte recht: Sie sind der Größte«, sagte er. »Sie arbeiten streng wissenschaftlich, nicht wahr?«
»Ich nutze die Wissenschaften«, erwiderte Timothy. »Das Wichtigste sind und bleiben Intuition und Inspiration.« Er tippte an seine Stirn. »Unsere kleinen grauen Zellen.«
»Ich bin überzeugt, Sie werden den Fall schon lösen, Mister Truckle«, sagte Bentley. »Sie oder keiner. Nehmen Sie sich alle Zeit, die Sie brauchen. Und alle Hilfsmittel. Geld spielt keine Rolle. Inger kann Sie mit allen Computern verbinden, falls Sie es wünschen.«
»Ja, ich benötige noch einige Informationen«, sagte Timothy, »vor allem aber benötige ich jetzt Zeit. Und Muße. Und Ihre Geduld. Es mag in den nächsten Tagen so aussehen, als ob ich faulenze, doch –«
»Schon gut«, unterbrach ihn Bentley. »Ich engagiere Sie blanko für ein viertel Jahr. Wie lange Sie wirklich brauchen, ist Ihre Sache. Und Ihr Profit. Einverstanden?« Er zog seine Hand unter den Decken hervor, Timothy schlug ein. »Verraten Sie mir wenigstens, welche Spur Sie als erste verfolgen?«
»Um ehrlich zu sein, ich tappe im dunkeln«, antwortete Timothy. »Aber das ist nicht weiter schlimm. ›Ein Mann kommt nie weiter, als wenn er nicht weiß, wohin er geht.‹ Das ist nicht von mir, sondern von Oliver Cromwell, einem alten Engländer.«
»Ich weiß, wer Cromwell war.« Bentley lächelte. »Ich habe mir sogar das Cromwell-Museum in London angesehen, ja, Sie haben richtig gehört, in London. Vergessen Sie nicht, Mister Truckle, daß ich anderthalb Jahrhunderte überlebt habe. Mein Vater schickte mich nach dem zweiten Weltkrieg auf eine längere Bildungsreise nach Europa: Louvre, Prado, Vatikan, Florenz, Venedig, Akropolis –«
Er versank ins Grübeln. Dann summte er eine Melodie: »It’s a long way to Tipperary ...«.
»Ich bin viel gereist. Ich habe mir alles angesehen, was dieser Planet an Sehenswertem zu bieten hat, die Pyramiden ebenso wie die Maya-Tempel und die Chinesische Mauer, ich war auf Hawaii und in der Arktis –« Er sah Timothy aus traurigen Augen an. »Ich gäbe den Rest meines Lebens, wenn ich noch einmal eine Weltreise machen dürfte. Nichts ist schlimmer für mich als dieses Eingeschlossensein; nicht reisen zu dürfen, wohin ich will. Was nutzen mir aller Reichtum und alle Macht, ich kann mir nicht einmal einen behaglichen Platz für meinen Lebensabend aussuchen. Wenn uns wenigstens noch Florida oder Südkalifornien gehörten, wo es das ganze Jahr warm ist.«
»Ich denke, Sie wissen zu schätzen, was Sie in Seabridge haben«, sagte Timothy, »Ruhe, Sonne, Meer, saubere Luft – das allein sind Privilegien, um die Sie jeder beneiden muß.«
»In einem Ghetto de Luxe«, sagte Bentley müde. »Eingemauert und unter einer Käseglocke. Die Welt ist nicht mehr, was sie war. Ich habe mich selbst überlebt.« Er versank erneut ins Grübeln.
»Mister Bentley, ich brauche ein paar Informationen«, meldete Timothy sich nach einer Weile.
»Wenden Sie sich an Inger.«
»Inger Johnston hat alle Fakten im Werk recherchiert, ich hätte es nicht besser können, doch es bleiben ein paar Ungereimtheiten, die nur Sie aufklären können.«
Bentley blickte Timothy überrascht an.
»Sie haben Inger gesagt, nur Ihre Familie und Direktor Crawford hätten gewußt, daß Ihr Sperma in jenem Kühlsafe aufbewahrt wurde. Ich glaube das nicht. Sie zitierten gestern eine Ihrer Maximen: Mißtraue deinem Nächsten wie dir selbst! Sie hätten nie Ihre Familie unterrichtet, höchstens einen. Wen?«
»Meinen Ältesten. Aber warum sollte Pride –? Er leitet praktisch schon die
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