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Der Samenbankraub: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Der Samenbankraub: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Titel: Der Samenbankraub: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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können wir die Zeit zwischen Fragen und Antworten stoppen. Dann haben wir konkrete Anhaltspunkte, wie lang die Leitung des Orakels ist, und können uns ungefähr ausrechnen, wo sich die Quelle befindet, aus der diese Pythia ihre geradezu göttliche Allwissenheit speist.«
    3.
    Timothy mußte eine Woche warten, bis er einen Termin bei der »Queen of Queens« bekam, und das auch nur, weil Slim sich für ihn einsetzte und weil die Queen, wie ihre bildschöne Sekretärin Timothy versicherte, es sich als Ehre anrechnete, daß der von ihr so geschätzte und bewunderte Timothy Truckle sie um Rat bat. Timothy konnte sich denken, warum es der Queen eine Ehre war: Sie würde schon dafür sorgen, daß es sich herumsprach, daß selbst er ihre Hilfe in Anspruch nahm. Vielleicht auch, daß nicht einmal ein Timothy Truckle ihr auf die Schliche kam. Ihm war es recht, daß er so lange warten mußte, denn der Umbau des Herzschrittmachers erwies sich als kompliziert; er mußte den alten aus der Brust nehmen und durch einen präparierten ersetzen lassen; da die Atombatterie ohnehin bald erneuert werden mußte, nahm er den Eingriff in Kauf.
    Er bereitete sich mit einem geruhsamen und ausgedehnten, wenn auch leichten Frühstück auf die Sitzung vor. Sein »Vorzugstermin« begann um zwölf Uhr, wahrscheinlich war kein wirklich wichtiger Kunde bereit, um diese Zeit ein Orakel zu befragen. Wer so abergläubisch ist, einen Haufen Geld für eine Wahrsagerin auszugeben, der scheut das der Mystik so abholde Tageslicht und liebt die Dunkelheit. Daß Smiley mitkam, wunderte niemanden. Man war hier auf Gorillas eingerichtet, es gab ein eigenes Wartezimmer für Personal.
    Es dauerte fast eine Viertel Stunde, bevor Timothy von einem der Sekretäre in eine Kabine geführt und höflich, aber bestimmt gebeten wurde, jegliche technische Accessoires zu deponieren, weil sonst das »PSI« der Queen nicht nur während der Sitzung, sondern auf Tage gestört würde. Timothy wies den Sekretär nicht auf seinen Herzschrittmacher hin, und der schien ihn nicht zu bemerken, als er Timothy mit geübten Griffen abtastete.
    »Muß wirklich jeder diese Prozedur über sich ergehen lassen?« erkundigte er sich.
    »Ausnahmslos jeder«, sagte der Sekretär. »Vor dem Orakel sind alle Menschen gleich. Und es hat noch niemanden gegeben, der nicht Verständnis zeigte; wir unterstellen ja nicht bösen Willen, sondern Vergeßlichkeit, und ein so hochorganisiertes Medium wie die ›Queen of Queens‹ ist nun einmal übersensibel. Wie sonst könnte sie so unübertrefflich sein?«
    Die Queen saß geistesabwesend in einem dunklen, mit Plüschportieren verhangenen Raum in einem Ohrensessel aus dem 19. Jahrhundert. Auch für ihre Kunden stand nur ein unbequemes, altertümliches Sitzmöbel bereit. Timothy fand keine Position, in der er sich entspannt hinsetzen konnte, schließlich rutschte er ganz an die Rückenlehne und mußte dafür in Kauf nehmen, daß er nun die Knie nicht mehr beugen konnte und wie ein kleines Kind dasaß. Die Queen schien nicht darauf zu achten. Sie schien Timothy überhaupt nicht zu bemerken. Sie summte mit geschlossenen Augen eine uralte Zigeunerweise. Timothy überlegte, wie der Titel hieß, es fiel ihm nicht ein. Seine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Jetzt sah er, daß auf dem Schoß der Queen ein fetter Angorakater lag. Er hätte sich nicht gewundert, wenn noch ein Rabe auf ihre Schulter geflogen wäre; sie sah gerade wie die Hexe in einem seiner Märchenbücher aus.
    Lautlos öffnete sich eine Tür, die Sekretärin brachte Tee. Nur für die Queen. Timothy hätte auch nicht von dem Gebräu kosten mögen, das penetrant nach Baldrian und Myrte duftete.
    »Glaubst du an meine Allwissenheit?« fragte die Queen unvermittelt. Ihre Stimme klang verblüffend klar und jung.
    »Gibt es Allwissenheit außer bei Gott?« fragte Timothy zurück.
    »Teste es.«
    Timothy kreuzte die Arme über der Brust. »Wie starb mein Bruder?« fragte er und drückte auf den Herzschrittmacher.
    »Ich sehe, ich sehe«, sagte die Queen und hob beschwörend die Hände. Sie selbst verzichtete nicht auf technische Accessoires, wie Timothy belustigt feststellte: Hinter ihrem Kopf glühten Strahlen auf und zuckten golden wie die Aureolen eines Heiligenbildes. Dann hörte er sie von Eddys Tod erzählen, so plastisch, als zeige sie ihm einen Film; wie Eddy mit dem selbstgebastelten Fluggerät aus dem Haus lief, sich in die Luft erhob, in den Bach stürzte, wie er dann in seinem Bett

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