Der Samurai von Savannah
beiseite. »Sax kann es dir bestätigen: Alles bleibt liegen, wo es hinfällt.«
Sheriff Peagler stellte ihr dieselben Fragen.
Es war Mittag. Sie saßen im vorderen Salon – sie und Saxby, Peagler, Abercorn und Turco –, dessen Tür geschlossen war. Es war heiß und schwül, und obwohl die Fenster weit offen standen, war nicht der geringste Windhauch zu spüren. Im Haus war alles still. Die Unentwegten unter den Künstlern hatten sich auf ihre Studios verteilt, wo sie schrieben, malten, Ton formten und über Kompositionen brüteten; die anderen waren segeln oder angeln gegangen oder für einen Ausflug nach Savannah gefahren.
Sheriff Peagler – Theron Peagler, collegegebildet und kalt wie eine Schlange – beugte sich zu ihr. Er saß in einem Ledersessel, in der Hand ein volles Glas mit Eiswasser. In wenigen Minuten würde er Saxby bitten, sie allein zu lassen. Jetzt aber beugte er sich vor und fragte Ruth, ob ihr je etwas Ungewöhnliches im Studio aufgefallen sei – verstellte Möbel, offene Fenster, irgend etwas.
Ruth hatte etliche Zeit auf ihr Make-up verwendet und dabei alle Waffen ihres Arsenals aufgeboten. Sie hatte das Gefühl, sie könne sie brauchen. Beim Eintreten hatte sie Abercorn einen kurzen Blick zugeworfen, aber das war alles – in die Augen konnte sie ihm nicht sehen. Jedenfalls noch nicht. Sie ließ sich Zeit mit der Antwort. Strich ihren Rock glatt. Setzte eine ernste Miene auf. »Septima – also, Mrs. Lights – hat mich das auch schon gefragt. Aber Sie hätten das Zimmer mal sehen müssen, ich meine, bevor die alles kaputt geschossen haben« – ein Seitenhieb, nur ein ganz kleiner –, »da herrschte ein ziemliches Durcheinander. Tut mir leid. Ich habe wohl kein großes Talent für Ordnung. Ich meine, mir fällt so was gar nicht auf.«
An dieser Stelle wandte sich der Sheriff an Saxby und bat ihn, sie eine Weile allein zu lassen.
Saxby sah erst Ruth an, dann den Sheriff, ehe er sich langsam vom Stuhl erhob und den Raum durchquerte. Ruth zählte seine Schritte – acht, neun, zehn – und lauschte dem leisen, gut geölten Klicken der schweren Tür aus Walnussholz, die sich hinter ihm schloss. Auf einmal war ihr heiß und kalt zugleich, und das Blut pochte ihr in den Ohren. Von beiden Seiten hörte sie die Atemzüge der Männer. Sonst war kein Geräusch zu vernehmen.
Niemand sagte ein Wort. Heiß und kalt. Ruth starrte auf den Teppich und überlegte kurz, ob sie nicht einfach vor Hitze ohnmächtig werden sollte, verwarf aber diesen Gedanken sofort wieder – das würde sie nur noch verdächtiger wirken lassen. Sie spielten mit ihr, das wurde ihr jetzt klar, diese kleinen Scheißer spielten mit ihr. Sie spürte Abercorns Blick auf sich und hob den Kopf.
Die fleckige Haut, die roten Augen, das Haar, das wie ein angeklebter Bart aussah: Wie hatte sie ihn je auch nur im Entferntesten attraktiv finden können? Er starrte sie unverwandt an, eine Wutfalte zwischen den harten rosa Karnickelaugen. Sollte er ruhig starren. Sie starrte einfach zurück.
»Miss Dershowitz.« Der Sheriff sprach sie an. Sie hielt Abercorns Blick eine Sekunde länger als nötig stand, dann wandte sie sich dem wettergegerbten kleinen Mann in Jeans und Arbeitshemd mit Sheriffstern zu. Er wirkte schlau und verschlagen, ein Mann, der schon alle Alibis gehört hatte und alle Ausreden kannte. Der Mut verließ sie. Sie würde zusammenbrechen, keine Frage. Zusammenbrechen und alles gestehen.
»Wegen des Essens. Wir haben in den Räumlichkeiten – wie nennt man das? – orientalische Nahrungsmittel gefunden, Seetang und getrocknete Wurzeln und dergleichen. Wie können Sie uns das erklären?«
»Keine Ahnung.« Die eigene Stimme klang fremd und fern in ihren Ohren. »Vielleicht hat er das Zeug nachts hereingebracht. Ich jedenfalls esse keine getrockneten Wurzeln.«
»Hören Sie auf mit dem Mist, junge Frau.« Turcos Stimme traf sie wie ein Tritt in die Seite, und sie durchbohrte ihn mit einem Blick. Er saß weit vorgebeugt auf seinem Stuhl, kaute an seinem Bart – ein kleiner Homunkulus, der böse Gnom aus dem Märchen, der die Jungfrau schändet. »Hören Sie bloß auf damit, ja? Sie führen uns jetzt seit sechs Wochen an der Nase herum.«
Ruth wandte sich ab von ihm. Ja, sie würde zusammenbrechen, aber auf anmutige Weise, dann, wann sie es für richtig hielt.
»Genug jetzt«, fauchte Abercorn, und Ruth war verblüfft über seinen wütenden Tonfall. Er war groß und kräftig auf eine schlaksige, sehnige Art, ein
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