Der Samurai von Savannah
»Er ist im Gefängnis.«
Sie konnte nicht anders. Er hatte sie überrumpelt, und sie nahm Zuflucht bei ihren natürlichen Abwehrstrategien. Sie setzte sich auf, die Bettdecke vor die Brust gepresst. Ihr Mund war klein, die Augen groß. »Wer?«
Er sah zornig und gefährlich aus, wie ein waidwundes Tier. »Tu nicht so, Ruth. Du weißt genau, wer. Dein kleiner Liebling. Dein Schoßhündchen. Oder war er noch mehr als das, häh? ›Ich will mal was anderes probieren‹, hast du gesagt. Stimmt’s? Das war was ganz anderes, oder?«
»Sax«, sagte sie.
Er stand jetzt über ihr, ein Muskelpaket im Gegenlicht des Fensters. Sie konnte die Adern an seinen Armen hervortreten sehen. »Hör auf mit deinem ›Sax‹«, sagte er. »Ich war dort, Ruth. Gestern Abend. Ich hab ihn gesehen.«
Sie verlagerte das Gewicht, zog sich die Decke bis unter die Achseln. »Also gut«, sagte sie und griff nach einer Zigarette, »es stimmt. Ich hab ihm geholfen. Aber es ist nicht so, wie du denkst.« Sie riss ein Streichholz an, inhalierte, blies es aus und legte den schwarzen, gekrümmten Rest in den Aschenbecher auf dem Nachttisch. »Er hat mir leidgetan, weißt du? Wie ein streunender Hund oder so. Alle waren sie hinter ihm her, und er war – er ist nur ein kleiner Junge, und außerdem hab ich ihn gebraucht – ich meine, nicht gleich am Anfang –, aber ich hab ihn für diese Erzählung gebraucht, an der ich arbeite …«
Saxby stand stocksteif da. Er war jetzt der Mann im Boot auf dem Peagler Sound, starr auf sein Ziel konzentriert und unbeirrbar, außerhalb ihrer Reichweite. »Wie lange schon?«, wollte er wissen. »Zwei Wochen? Drei? Einen Monat? Es ist ein Riesenscherz für dich, was? Auf Kosten von uns allen hier. Auf Kosten von Abercorn und diesem kleinen Ledernacken-Schnüffler, oder was immer der ist, von Thalamus, Regina, Jane – sogar auf Kosten meiner Mutter. Aber wirklich weh tut mir, dass du auch mich so verladen hast. Wieso hast du mir nicht vertraut? Antworte, verdammt noch mal!«
Sie beschäftigte sich mit ihrer Zigarette. Nur mühsam beherrschte sie sich, nicht loszugrinsen aus Schuldgefühl und Scham und Trotz, denn das würde alles nur verschlimmern. Und sie brauchte Sax auf ihrer Seite, jetzt mehr denn je. Wenn er es wusste, dann wussten es alle – bei diesem Gedanken verkrampfte sich ihr Magen –, und sie würden es nicht gerade lustig finden. Sie war eine Komplizin, eine Helfershelferin, hatte sich schuldig gemacht. Dafür konnte sie ins Gefängnis kommen. »Ich wollte es dir ja sagen, Sax – ich hatte vor –« begann sie, verstummte dann aber. Es wurde noch heller im Zimmer. Alles war still. »Sieh mal, Sax, es war ein Spiel. Ich wusste etwas, das sie alle nicht wussten – weder Peter Anserine noch Laura Grobian noch Irving Thalamus. Ich war hier immer unsicher, das weißt du. Und dieses Geheimnis gab mir etwas zum Festhalten, es war etwas, was mir gehörte –«
»So, so«, sagte er, und in seiner Stimme schwang Widerwillen und Selbstmitleid mit, »aber was ist mit mir?«
Auf einmal wurde sie wütend. Sie war in Schwierigkeiten – in großen Schwierigkeiten –, und er hatte sie da hineingebracht. »Nein«, sagte sie und fuchtelte mit ihrer Zigarette in seine Richtung, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, »was ist mit mir ?« Da stand er, ihr Liebhaber, ihr Vertrauter, der süße, lustige Kerl mit den großen Füßen, und er hatte sie verraten. »Du hast ihn ausgeliefert, stimmt’s?«, fragte sie und ging damit in die Offensive.
Seine Miene änderte sich. Sie liebte ihn, wirklich, aber er war innerlich schwach, und jetzt hatte sie ihn. »Du, du hast mir ja nie etwas gesagt«, stammelte er. »Ich seh ihn da auf deiner Veranda stehen, und mir fallen die vielen Dosen mit Makrelen in Sojasauce und Bambussprossen ein – was erwartest du denn von mir? Ich meine, wenigstens mir hättest du doch was davon sagen können.«
»Du Schwein, Sax.« Jetzt schluchzte sie. Ihre Schultern bebten ein wenig, und die Bettdecke rutschte ihr bis zu den Hüften. Sie griff danach, um ihre Brüste zu bedecken, ließ sie jedoch wieder fallen. Sie konnte sich wie durch den Sucher einer Kamera sehen, im Bett sitzend, von der Hüfte aufwärts nackt, schluchzend im Morgenlicht, von ihrem Mann verraten und der Gnade der Obrigkeit ausgeliefert. Es war ein ergreifender Moment, wie im richtigen Leben. Sie blickte zu Saxby empor. Er war wie vom Donner gerührt.
»Denkst du denn überhaupt nicht nach?«, stieß sie hervor.
Weitere Kostenlose Bücher