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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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Mienen, schwarze und weiße, segelten rücklings aufs Hinterteil, Gewehre, Zigaretten und Brillen flogen durch die Luft wie bei einem wundersamen Levitationstrick.
    Der Dschungel umfing ihn. Noch eine zweite Sperre erwartete ihn dort, es gab einen erschreckten Schrei und einen Schwall von Flüchen, dann klatschten Hiros nackte große Füße durch den Schlamm eines Trampelpfads, den er so gut kannte wie den Treppenaufgang zur Wohnung seiner obāsan . Jetzt hörte er die Hunde, die grausame Freude in ihrem vielstimmigen Jaulen, als man sie auf ihn losließ, aber er war ein Samurai, ein Held, der getötet hatte, und er war auf dem Weg in einen Sumpf, der sechzig Hunde verschlucken würde … und er würde keinen Augenblick zögern. Kopfüber würde er sich in den Morast hechten, in ihm sein und ihn einatmen, sich den nackten Leib damit beschmieren und für immer hier in der Wildnis leben, in seiner urtümlichen Heimat, als Tarzan der Affenmenschen, unbesiegbar und –
    Abrupt wurden seine rasenden, wirren Gedanken abgewürgt. Vor ihm, mitten auf dem Pfad, Kopf und Schultern kampflustig vorgeschoben, stand ein Neger. Ein Junge. In Basketballschuhen. Und Jeans. Haare wie ein Kannibale aus Neuguinea. Hiro rannte auf ihn zu, Blätter im Gesicht, ein Sonnenstrahl bohrte sich durchs Geäst, unter seinen Füßen der Boden, und da stand ein Neger. Hiro war verwirrt – wie kam der denn hierher? –, aber es blieb keine Zeit, sich vorzustellen. Hinter ihm kläfften die Hunde, knallten die Flinten und brüllten gellende Stimmen erbost durcheinander. Hiro galoppierte den Pfad entlang wie ein Stier, der in die Arena hineinstürzt.
    »Gehn weg!«, rief er und schlug mit dem Arm nach dem Jungen. Im nächsten Moment spürte er den Aufprall, Körper auf Körper, die Hände des Jungen, die sich wie Klauen in seine Hüfte krallten, dann rutschten die Füße unter ihm weg, und er lag, nach Atem ringend, mit dem Gesicht nach unten im Dreck. Ehe er noch wusste, was passiert war, hockte der Junge auf ihm und trommelte auf ihn ein; seine Fäuste waren harte kleine Knochenpakete. »Du schlitzohrige Drecksau, du!«, schrie der Junge, und Hiro konnte seinen Schweiß riechen, während er versuchte, die Schläge abzuwehren und wieder auf die Beine zu kommen, dabei hörte er, wie die Hunde immer näher kamen, ihn überrannten, und die Stimme des Jungen erhob sich zu einem Geheul, einem Kreischen, einem Schwall von schrillen, durchdringenden Silben, die ihn durchbohrten wie Schüsse: »Du hast meinen Onkel umgebracht!«

ZWEITER TEIL
OKEFENOKEE

OFFENES GEHEIMNIS
    Sie war in Schwierigkeiten, in großen Schwierigkeiten, das war ihr in dem Augenblick klar, als Saxby zur Tür hereinkam. Eigentlich hätte er längst weg sein sollen, auf dem Weg zum Okefenokee-Sumpf, um dort seine Netze auszuwerfen und die Fische aufzuscheuchen. Und dann war da sein harter, enttäuschter Gesichtsausdruck – der Ausdruck eines Mannes, der gerade sein Leben neu durchdenkt, seine Weltsicht überprüft, der Ausdruck des empörten Moralisten, des Inquisitors, des Richters, der nur den Strick als Urteil kennt. Mit einem eisigen Schauer rief sie sich die vergangene Nacht ins Gedächtnis zurück. Als sie spät aus dem Studio zurückgekehrt war, hatte Saxby im Billardzimmer auf sie gewartet, aber obwohl sie eine Stunde lang dort geblieben und dann miteinander ins Bett gegangen waren, hatte er mürrisch und nachdenklich gewirkt, zurückgezogen, unzugänglich. Das alles zuckte ihr während des Aufwachens durch den Kopf, als er zur Tür hereinschlüpfte und sie hinter sich zuzog.
    Das Zimmer lag noch im Dunkeln – sie hatte vor dem Zubettgehen die Jalousien heruntergelassen, weil sie ausschlafen wollte –, doch nun schlug ihr das Tageslicht hart und kompromisslos entgegen, obwohl er es mit der Tür gleich wieder hinausdrängte. Die Helligkeit waberte an den Ecken des Fensterrahmens, durch die Türritzen schlich sich die Sonne herein. Es war Sonntag. Die Uhr zeigte 7.15. »Saxby?«, murmelte sie; sie war wach, schlagartig wach. »Stimmt irgendwas nicht?«
    Natürlich stimmte etwas nicht – er hätte seit zwei Stunden weg sein sollen. Saxby sagte kein Wort. Er stand einfach nur da, mit dem Rücken zur Tür. Und dann bewegte er sich plötzlich, durchquerte den Raum mit zwei wütenden Schritten und ließ die Jalousie hochschnappen. Ruth fühlte das Licht im Zimmer explodieren, sie kniff die Augen fest zu, blinzelte – es tat weh, es war eine Attacke. »Sie haben ihn«, sagte Saxby.

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