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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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waren – der ganze Bundesstaat, so sagte sie oft, war wie eine Duschkabine in einem Studentenschlafsaal –, und obwohl sie wusste, dass ihr unter den Bäumen Moskitos und Viehbremsen auflauerten, fühlte sie sich einfach großartig. Sie war hier, auf Thanatopsis, und schrieb – oder versuchte zu schreiben; eine Kollegin von Laura Grobian, Peter Anserine und Irving Thalamus – ja sogar der schielenden Komponistin, die allem Anschein zum Trotz die berühmteste unter den sechsundzwanzig momentan anwesenden Künstlern war.
    Ruth, bei Vertrauten als »La Dershowitz« bekannt, war vierunddreißig, gab aber nur neunundzwanzig Jahre zu. Zu schreiben begonnen hatte sie auf der High School, wozu sie ihr Englischlehrer John Beard, der möglicherweise an ihren grandiosen Brüsten und ihrem Schmollmund ebenso interessiert gewesen war wie an ihren pubertären Gedichten und Geschichten, während langer spätabendlicher Tutorstunden ermutigt hatte. Sie war auf den besten Sommerakademien gewesen, dank der Großzügigkeit ihres Vaters, und an der Sonoma State University hatte sie ein zweifelhaftes Diplom in Anthropologie erworben. Ein Jahr hatte sie bei einem Schreib-Workshop an der Iowa State University zugebracht, ein weiteres an der Irvine State, ohne jedoch einen Abschluss zu machen, und sie hatte vier eindringliche, düstere Erzählungen in kleineren Magazinen publiziert (zwei in Dichondra , dessen Herausgeber sie bei der Bread Loaf Conference kennengelernt hatte, und je eine in Firefly und Precious Buttons ). Allmählich war Geld zum Problem und Servierjobs zur chronischen Krankheit geworden. Als sie auf Saxby traf, der gerade sein Ozeanologiestudium am Scripps College geschmissen hatte, verliebte sie sich sofort in seine Grübchen, sein Lachen, seine Schultern und den Gedanken an das Große Haus auf Tupelo Island. Und jetzt war sie hier. Für immer. Oder jedenfalls für ziemlich lange.
    Als sie, schon jetzt schweißnass unter den Achseln, auf dem in dichtem Schatten liegenden Pfad zu ihrem Studio kam, sah sie, dass sie die Fenster offen gelassen hatte. (Jeder der Künstler auf Thanatopsis aß, schlief, badete und erholte sich im Großen Haus, bekam aber einen Platz zum Arbeiten in einem der dreißig Studios, die auf dem Grundstück verteilt standen, und es galt das strenge Verbot, eins der anderen Studios während des Arbeitstages aufzusuchen – das heißt: zwischen dem Frühstück um sieben und den Cocktails um fünf. Größenmäßig lagen die Studios zwischen Laura Grobians kunsthandwerklich verziertem Fünf-Zimmer-Bungalow bis zu den Ein-Raum-Häuschen, die für geringere Geister übrig blieben, und Septima hatte sie alle nach berühmten Selbstmördern benannt, im Gedenken an das vorzeitige Ableben ihres Gatten. Ruth war in »Hart Crane«. Es bestand aus einem Zimmer, alles sehr rustikal, mit einem alten gemauerten Kamin, einem kleinen Rattansofa, zwei Schaukelstühlen aus Peddigrohr und einer einzigen, filigranen Steckdose. Von allen Studios der Kolonie lag es am weitesten vom Großen Haus entfernt. Und Ruth hatte gar nichts dagegen, ja ihr war das sogar sehr recht.
    Zuerst überraschten sie die offenen Fenster – eigentlich achtete sie immer darauf, sie abends zu schließen, nicht nur aus Furcht vor nächtlichen Wassereinbrüchen, sondern vor allem aus Respekt vor der Zerstörungskraft von Waschbären, Schlangen, Eichhörnchen und halbstarken Jugendlichen. Einen Augenblick lang stellte sie es sich vor: Schreibmaschine gestohlen, Manuskript zerfleddert, die Wände mit Graffiti beschmiert. Dann aber erinnerte sie sich an den vergangenen Nachmittag, an ihren gewaltigen Widerwillen und Ekel über das ganze Getue – Schreibmaschinen, Manuskripte, Kunst, Arbeit, Liebe, Stolz, Leistung, sogar die in Aussicht stehende Verehrung durch die Massen – und daran, wie sie die Fenster offen gelassen hatte, um das Schicksal herauszufordern. Los doch, hatte sie gesagt, sich am Marterpfahl eines vergeudeten Nachmittags und der eigenen Verzweiflung windend, zerreißt ruhig alles, plündert das Haus, befreit mich. Los doch, ihr traut euch ja nicht.
    Jetzt fühlte sie sich anders. Jetzt hatte sie der Arbeitseifer gepackt. Jetzt war es Morgen, und sie musste sich an ihren Schreibtisch setzen wie alle anderen in Amerika. Sie stieg die drei ausgetretenen Stufen zur Veranda hinauf, drückte die unverschlossene Tür auf, schleuderte ihre Tasche auf das Sofa und stellte sich vor die alte tragbare Olivetti, die sie vom Schreibtisch unter dem

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