Der Samurai von Savannah
Typen, einen verwegenen, gewalttätigen Kerl, der aus der Arrestzelle seines Schiffs ausgebrochen war, mehrere seiner Kameraden attackiert und sich dann selbstmörderisch über Bord gehechtet hatte. Die Küstenwache hatte ihre Suche eingestellt, da zwei Augenzeugen aus der Künstlerkolonie – Ruth konnte sich einen leisen Stich der Enttäuschung nicht verkneifen, als sie ihren Namen nicht genannt fand – beobachtet hatten, wie er an der südöstlichen Spitze von Tupelo Island an Land gegangen war. Die Behörden verfolgten die Sache jedoch weiter. Der Mann galt als bewaffnet und gefährlich.
Um die Zeitung hatte Ruth kämpfen müssen – seit der Schweinepestepidemie war das die größte Sache, die sich auf Tupelo Island je ereignet hatte, und jeder wollte voll über alles informiert sein. Die Zeitung kam, wie üblich einen Tag zu spät, am zweiten Morgen nach der Begegnung in der Bucht. In der Zwischenzeit hatten sie und Saxby unzählige Telefongespräche geführt: mit Reportern von der Atlanta Constitution , vom Savannah Star und der alle zwei Monate erscheinenden Zeitschrift Tupelo Island Breeze , mit einem Spezialfahnder von der Einwanderungsbehörde aus Savannah, der sich als Detlef Abercorn vorgestellt hatte, mit dem Bezirkssheriff (oder »Shurf«, wie man in der Gegend sagte) und mit einem Mr. Shikuma, dem Präsidenten der Japanisch-Amerikanischen Gesellschaft in New York. Mr. Shikuma hatte ihnen, in einem Schwall von Dankeschöns und Entschuldigungen, zur Identifikation des Matrosen Tanaka gratuliert und gleichzeitig versichert, dass dieser junge Seemann, bei aller geistigen Verwirrung, bestimmt niemanden ernsthaft bedrohen werde.
Eigentlich gefiel Ruth der ganze Wirbel. Seit sie mit Saxby nach Thanatopsis House gekommen war, hatte sie kein gutes Gefühl gehabt. Vielleicht hatten sie die Peter Anserines und Laura Grobians verunsichert, vielleicht fühlte sie sich von ihren Kollegen eingeschüchtert, so wie damals in Iowa und Irvine. Natürlich war sie ein bisschen verlegen wegen ihrer besonderen Beziehung zu Saxby und dem Klatsch und der Verleumdung, die dies garantiert auslöste: Ruth Dershowitz? Wer ist das überhaupt? Ich meine, was hat sie rausgebracht? Oder braucht die etwa gar nichts zu schreiben – vielleicht reicht’s ja, dass sie die neueste Braut vom Sohnemann hier ist, oder? Immerhin lebte sie in Frieden mit den anderen – sie hatte mit niemandem viel geredet. Sicher, beim Cocktail und während des Abendessens hatte sie mit ihren Sitznachbarn Banalitäten gewechselt, ohne sich aber auf irgendetwas Persönliches einzulassen –, das Terrain war einstweilen unsicher, und sie lernte gerade erst laufen. Aber in der Nacht, als sie nach der Bootsfahrt ins Haus kamen, konnte sie sich nicht beherrschen.
Es war spät, nach zwei, und das einzige Licht im Großen Haus kam aus dem Billardzimmer im zweiten Stock. Beim Treppensteigen nahmen sie zwei Stufen auf einmal, wobei Ruth sich anstrengte, mit Saxbys langen Beinen Schritt zu halten. Sie war außer Atem, als er die Tür aufriss und sie in den Raum hineinzog. Sie sah Holztäfelung, einen Kronleuchter, Lampen in den Ecken. Sie blinzelte einen Moment, als hätte man sie aus dem Tiefschlaf geweckt, bis sie die übliche Ansammlung von Nachtschwärmern identifizierte.
Am Spieltisch saß Irving Thalamus und kämpfte gerade mit zuckenden Fingern gegen den Impuls an, aufzublicken und damit sein Blatt zu verraten. Sein Gegenüber war ein Dichter namens Bob. Bob hatte ein Buch bei der Wesleyan University Press publiziert und war ein ganz ernsthafter Bursche, obwohl er eher wie ein Biergrossist aussah als wie der Dozent an der Emory University, der er war. Neben Bob, über ein Diät-Cola gebeugt, saß Ina Soderbord, eine quadratschädlige, breitschultrige Blondine aus Minnesota, die schrieb, als kämpfe sie mit dem Delirium tremens. In der Ecke, eingehüllt in ihre Metronomenstille, war die schielende Komponistin über einem Buch eingenickt, während die Punk-Bildhauerin, in Ledershorts und einem T-Shirt von der Größe eines Biwakzelts, sich im grellen Schein der Lampe über den Billardtisch beugte.
Ehe sie jemand begrüßen konnte, ehe noch jemand mit einem lässigen »Hallo« oder »Was gibt’s?« aufblicken konnte, sprudelte Saxby mit der Geschichte heraus, in seinem üblichen hyperbolischen Erzählstil, bei dem der Zusammenstoß in der Bucht nicht minder erstaunlich klang als eine Begegnung mit Außerirdischen. Alle liebten Saxby. Sie liebten ihn für
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