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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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seinen Witz und seine breiten Schultern und sein totales Desinteresse an allem Künstlerischen. Ruth hielt seinen Arm fest umklammert.
    »Nein, ich schwör’s euch«, sagte er, »der Typ sah aus wie Elmer Fudd, nur eben mit Haaren, und Ruth und ich haben’s uns gerade ein bisschen romantisch gemacht – oder wir waren schon ziemlich romantisch gewesen und wollten gerade noch mal romantisch werden – ich meine, ich bin also total nackt, verdammt! – nicht rot werden, Ruth! Wird sie etwa rot? Jedenfalls ist das Ganze ziemlich unangenehm. Wir sind da draußen auf dem Wasser, und wenn es ein Seehund, ein Thunfisch oder gar ein Wal gewesen wäre, hätte ich’s ja noch verstanden, aber ein chinesischer Elmer Fudd? Noch dazu mit Haaren?«
    Ruth trat zur Seite, zwei Schritte zurück und einen nach links, und beobachtete ihre Mienen, während Saxby mit den Armen fuchtelte, Grimassen schnitt und in seiner Schilderung alle Register zog. Sie lauschten gebannt. Als Sax fertig war, als er den eingeschüchterten Fremdling im Strandgras hatte verschwinden lassen wie einen verschreckten Büffel, legte Irving Thalamus die Karten weg und sah auf. »Möchten jetzt bestellen, ja?«, sagte er mit Falsettstimme und ausdruckslosem Gesicht. »Wollen liebel Flühlingslolle oder chinesische Gemüse?«
    »Vielleicht hat er für die Olympischen Spiele geübt oder so«, sagte Bob und wollte diesen Gedanken gerade noch weiter ausbauen, als die Punk-Bildhauerin ihm ins Wort fiel. »Ihr Typen hier seid doch wirklich total bescheuert«, fauchte sie und knallte ihr Queue auf den Boden. Sie funkelte sie grimmig an. »Ihr seid kaputter als kaputt. Noch schlimmer.« Sie reckte sich, als wollte sie ausspucken, und stolzierte dann aus dem Zimmer.
    »Was ist denn mit der los?«, fragte Saxby und nahm sich eine Handvoll Erdnüsse aus der Schüssel, die in der Mitte des Spieltisches stand. »Ich meine, wir sind ja hier nicht im East Village von New York oder so. Wir sin’ hier in Georgia«, hier fiel er in den schweren Südstaaten-Dialekt, »im guten alten Staat der Pfirsichbäume, und ich würd glatt sagen, wenn einer mitten im Peagler Sound auf ’n Chinesen stößt, dann ist das schon verflucht unglaublich – nein, ich würd sogar ganz sicher meinen, dass die chinesische Bevölkerung auf den Inseln hier gerade von null auf eins raufgeschnellt ist.«
    Mit gebieterischem Knirschen knackte sich Irving Thalamus eine Erdnuss, und alle wandten sich ihm zu, als er sich vorbeugte, um die zweikeimblättrigen Kerne aus der Schale zu nehmen. »Die hat keinen Humor«, bemerkte er mit seiner Raucherstimme, und Bob fing an zu kichern.
    In diesem Augenblick spürte Ruth, wie es mit ihr durchging. Sie war erschöpft, erledigt, von widersprüchlichen Gefühlen übermannt: Wie konnten sie nur alle so blasiert sein? Ein Schiff war gesunken. Sie hatte einen ertrinkenden, halb hysterischen Überlebenden mit knapper Not an Land wanken und in Panik durch die Büsche flüchten sehen. Und hier konnten sie nichts als Chinesenwitze reißen. Wie viele Menschen riefen in diesem Moment um Hilfe, während sich das schwarze, erbarmungslose Meer über ihnen schloss? »Wir müssen die Polizei informieren«, sagte sie plötzlich. »Und die Küstenwache. Ein Schiff ist gesunken, das weiß ich, das ist doch klar. Hat irgendwer heute Abend Radio gehört?«
    Alle sahen sie jetzt an – sogar die schielende Komponistin, die bei dem Wort »Radio« schnaufend aufgewacht war. »Radio?«, echote sie, und dann redeten alle gleichzeitig. »Hat nun jemand Radio gehört?«, wiederholte Ruth.
    Peter Anserine hatte Radio gehört. Ina Soderbord, die das Zimmer neben ihm bewohnte, fiel ein, dass er gegen acht Uhr Nachrichten gehört hatte. Aber inzwischen schlief er seit Stunden, und wer wollte ihn aufwecken?
    Auf einmal war Ruth wütend, das Ganze wurde ihr zu viel – Thanatopsis House, der Zynismus, der Druck, die Gemeinheiten. Von einem Moment auf den anderen brach das sorgsam konstruierte Gebäude ihrer Zurückhaltung in Stücke. Jetzt nahm sie teil, stand mitten im Rampenlicht. »Ich kann’s nicht glauben«, stieß sie hervor, und von der Intensität ihres Gefühls wurde ihr richtig schwindlig. Saxby war da, legte ihr den Arm um die Schulter. »Ist schon okay«, sagte er, aber sie war noch nicht fertig. »Da draußen ertrinkt möglicherweise ein Mensch, und ihr, ihr – ihr macht hier Witze!«
    Tränen stiegen ihr in die Augen, aber sie kämpfte sie nieder. Sie war wütend, verletzt, verwirrt

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