Der Samurai von Savannah
umschlossen. Ihr vom Schlaf kaum zerwühltes Haar wirkte voller, lockiger und glänzender, als es für schlichte Sterbliche recht und billig war. Ihr Gesicht, frei von allem Make-up, war vollkommen.
Ruth hatte an den Füßen taiwanesische Gummisandalen zu neunundfünfzig Cent das Paar, der gestohlene Bademantel war ihr sechs Größen zu weit und starrte vor Schmutz, und ihr Gesicht war, wie die flüchtige Beurteilung im Frisierspiegel ergeben hatte, das einer lebenden Leiche. Verschlafen, nichtsahnend und völlig unvorbereitet war Ruth aus ihrem Zimmer getreten, ihre vagen Gedanken galten ausschließlich dem Telefon, und da stand Jane Shine, ihre größte Feindin, und sah noch dazu aus wie ein Filmstar aus den Vierzigern beim Frühstück im Bett in einem Studio von Metro-Goldwyn-Mayer.
Janes Augen zogen sich zusammen. Ihre Miene war wachsam, aber ungerührt. Sie blinzelte zweimal, machte einen kleinen Schritt zur Seite, als wäre Ruth nur eine geringfügige Belästigung, ein kleines, wenn auch unerfreuliches Hindernis für ihr majestätisches Wandeln – eine Topfpflanze, ein Stapel Gepäckstücke, den das Personal ungeschickt abgestellt hatte –, und entschwebte dann unter leisem Rascheln ihres Seidengewands. Oh, dieses Miststück, dieses Miststück!Kein Wort der Begrüßung oder der Entschuldigung, kein »Tut mir leid« oder »Bis später«, weder »Guten Morgen« noch »Hallo« noch »Verpiss dich« – überhaupt nichts. Oh, dieses eiskalte arrogante Miststück!
Ruth stand reglos da, starr vor Hass. Sie wartete auf das Zufallen der Toilettentür hinter sich, dann ging sie weiter den Gang entlang, wobei sie die Zähne so fest zusammenbiss, dass sie schmerzten, als sie das Telefon am Fuß der Treppe erreichte. »Sax?« Sie fauchte es praktisch in den Hörer.
Die Antwort kam sofort. Er war aufgeregt – zweifellos wegen seiner Fische –, und ihre ohnehin schon giftige Laune verschlechterte sich noch weiter. »Ruth«, begann er, »hör zu, ich muss dir unbedingt etwas sagen, bevor es jemand anders tut –«
Sie schnitt ihm das Wort ab. Das Einzige, was ihm etwas bedeutete, waren Fische. Lewis Turco hatte ihr wehgetan, und ihm ging es nur um Fische. »Er hat mich an den Haaren gezogen und vor allen Leuten eine Schlampe genannt, eine verlogene jüdische Schlampe hat er mich genannt, hier auf der Veranda vor allen Leuten.« Im Telefon hallten ihre Worte wider – in ihrer Stimme hörte sie die Empörung zittern, helle Wut, die in Verletztheit umschlug. »Wenn er glaubt, dass er so was ungestraft tun kann, dann täuscht er sich … Ich werde ihn verklagen. Das werde ich. Anzeigen werde ich ihn … Sax«, stieß sie hervor, »ach, Sax.«
Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen. Saxby war verwirrt, und wenn er verwirrt war, wurde er nervös. »Was erzählst du da? Jemand hat dich an den Haaren gezogen?« Dann machte er einen Gedankensprung. »Redest du von dem Japaner? War das bei seiner Flucht?«
»Japaner? Ich meine Turco. Lewis Turco. Diesen kleinen Nazischeißer, der mit Detlef herumzieht. Der ist gestern Abend auf der Veranda ausgeklinkt und hat« – ihre Stimme überschlug sich – »er hat mich angegriffen. Auf Irving und Sandy ist er auch losgegangen. Du solltest die blauen Flecken auf Sandys Brust sehen. Wenn du hier gewesen wärst, hätte er mich nie angerührt, das hätte er sich nicht getraut, aber – aber –« Sie spürte, wie sie die Nerven verlor.
»Ruth, sei still. Hör mir jetzt mal zu.«
Saxby wollte nichts davon wissen, wollte ihr nicht zuhören. Er musste ihr etwas erzählen, das wichtiger war als die Tatsache, dass so ein Muskelprotz, so ein Rüpel, seine Freundin verprügelt hatte, wollte von irgendeinem wundersamen Fisch reden, den er gefunden hatte, von der Riesenneuigkeit, die ein Erdbeben verursachen würde in der Welt ewig Pubertierender, die ihr ganzes Leben damit verbrachten, Fischen beim Ficken in kleinen Glasschüsseln zuzusehen. Sie wurde wütend. »Nein, jetzt hörst du zu. Er hat mich angegriffen, verdammt noch mal –«
»Ruth, der Japaner ist hier. Hiro. Hiro Tanaka. Er ist hier.«
Was faselte er da? Ruth blickte auf und sah Owen um die Ecke in die Küche huschen. Ihr Ärger verpuffte. »Hiro? Was meinst du damit? Wo?«
»Hier. Im Okefenokee. Vorhin hab ich den Kofferraum aufgemacht, und da war er drin, zusammengerollt wie eine Schlange. Im Kofferraum , verdammt noch mal!«
Es war reichlich früh, und ihr tat der Kopf weh. Sie brauchte einen Moment, um diese
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