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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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Information zu verarbeiten. Saxby war weggefahren und stöberte am anderen Ende von Georgia nach seinen Zwergfischen. Hiro war geflohen. Der Himmel war oben, die Erde unten. Es gab so etwas wie Schwerkraft und magnetische Anziehung, es gab Protonen, Neutronen und Elektronen. Schön. Aber Hiro bei Saxby im Kofferraum, Hiro im Okefenokee-Sumpf? Das war einfach die Höhe. Es war ein Scherz, ein schlechter Witz, Saxby wollte sie auf den Arm nehmen. Da durchkämmten Abercorn und der Sheriff mit einer ganzen Armee hechelnder Hunde und schrotflintenbewehrter Insulaner das verfilzte Unterholz und die stinkenden Pfuhle von Tupelo Island, und Hiro – der flüchtige Häftling, der Ausbrecher, dieser große, tollpatschige Junge mit dem schwermütigen Blick und dem Schmerbauch – war längst hundert Meilen weit weg. In einem Sumpf. Dem Sumpf. Im Sumpf aller Sümpfe. Armer Hiro. Armer Detlef. Armer Sax. Aber nein, es konnte nicht sein. Es war einfach zu perfekt. »Bist du sicher?«
    »Klar bin ich sicher.«
    »Hast du –«, begann sie und wollte eigentlich fragen, ob Saxby ihm wehgetan hatte, ob er wieder den rasenden, den aggressiven, den brutalen Saxby hervorgekehrt hatte, besann sich aber eines Besseren. »Ich meine, hat er was gesagt, oder ist er gleich wieder weggerannt oder was? Hast du irgendwie versucht, ihm zu helfen?«
    Saxby war voll aufgedreht, er sprach in atemlosen, heftigen kurzen Stößen. »Ich war mit Roy zusammen. Der Bursche steckte im Kofferraum. Bis ich gemerkt hab, was los war, war er schon wieder weg.«
    »Weg?«
    Und dann erfuhr sie die ganze Geschichte. Saxby erzählte ihr, wie er am Nachmittag den Kofferraum gepackt hatte, viel zu aufgeregt, um sich später noch zu erinnern, ob er die Klappe selbst geschlossen hatte oder nicht, und wie sie dann draußen auf einer schmalen Landzunge gestanden hatten, auf drei Seiten von Wasser umgeben, und Roy gerade dabei war, das Boot rückwärts die Rampe hinunterzurollen. Er erzählte ihr, wie Hiro mit dem irren Blick eines Wahnsinnigen aus dem Kofferraum geschnellt war und sich in den Bootskanal gehechtet hatte – »Immer wenn ich diesen Typ zu Gesicht kriege, schmeißt er sich in irgendeinen dreckigen Tümpel« – und wie er ihn entlanggekrault war, bis er das Ufer auf der anderen Seite der Lagune erreicht hatte. »Der Kerl ist ein Fanatiker«, schloss Saxby. »Ein totaler Spinner. Aber falls er Tupelo ungemütlich gefunden hat, steht ihm hier eine noch größere Überraschung bevor.«
    Plötzlich lachte Ruth – sie konnte sich nicht zurückhalten. Laura Grobian kam gerade mit weit aufgerissenen Augen die Treppe herunter, auf dem Weg zum Frühstück ins Stille Zimmer, und Ruth lachte und prustete, wurde nahezu hysterisch angesichts dieser Neuigkeit, konnte kaum noch den Hörer ans Ohr halten. Das Bild von Saxby mit seinen riesigen Füßen und hilflos erhobenen Händen, von Hiro mit den schiefen Zähnen in seinem runden Vollmondgesicht, der wieder einmal um sein Leben schwamm, die Entengrütze aufwirbelte und immer tiefer in die Wildnis entschwand, einen Sumpf gegen den nächsten eintauschte – das war zu viel für sie. Es war wie etwas aus Joseph Conrads Herz der Finsternis – oder wie ein Film mit den Keystone Kops. Genau, das war’s: Die Keystone Kops im Herzen der Finsternis. Und die Ironie des Schicksals dabei – es war einfach zu viel. Ihr Plan hatte schließlich doch funktioniert. Hiros Wunsch hatte sich erfüllt – er war von Tupelo Island weggekommen, im Kofferraum von Septimas Wagen. Es war urkomisch, einfach urkomisch.
    »Das ist nicht komisch, Ruth. Ganz und gar nicht.« Saxby war stinkwütend, seine Stimme klang gepresst. »Also: Roy hat schon die Polizei verständigt. Deshalb rufe ich an. Um dich zu warnen. Nach gestern … ich meine, der Kerl taucht in meinem Kofferraum auf, und die sollen mir glauben, ich hätte keine Ahnung davon gehabt? Und du auch nicht?«
    So hatte sie es noch gar nicht betrachtet. Es war trotzdem komisch. »Du bist unschuldig, Sax – und einen Unschuldigen würden sie doch nie aufhängen.« Sie wusste, dass ihr das noch leidtun würde, aber sie konnte sich nicht beherrschen. Ihre Laune hatte sich schlagartig gebessert. Sie war geradezu in Hochform. Die Geschichte machte ihr gewaltigen Spaß.
    »Verdammt noch mal, Ruth. Das geht dich auch was an. Du warst es doch, die –« Saxby verstummte. Brach ganz einfach ab. Rauschen erklang in der Leitung. Draußen kam die Sonne hervor, um ein flaches Grab in den Dunst zu

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