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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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»Erzähl mir doch nichts, Owen«, hatte sie gesagt und ihn aufgezogen, »du hast gepatzt. Gib’s ruhig zu. In zwanzig Jahren hat noch nie ein Künstler in Thanatopsis House gehungert – und jetzt das !« Sie ließ die letzte Silbe genüsslich verzischen und lachte dann auf.
    Owen wurde rot. Er war vierzig, sah aus wie Samuel Beckett, bis hin zur kampflustigen Nase und dem straffen Bürstenschnitt, und er war pedantisch wie ein Ausbildungsoffizier – ein schwuler Ausbildungsoffizier, falls es diese Kombination gab. »Ich habe dir das Essen gebracht«, beharrte er. »Ich kann mich deutlich daran erinnern. Ganz deutlich.«
    Es war ja nicht so schlimm. Aber sie gestaltete ihren Tag um dieses Mittagessen herum – außerdem war es ein ziemlich gutes Essen: Fleischpastete, Krabbensalat, Sandwiches mit geräuchertem Truthahn oder Provolone mit getrockneten Peperonis, selbst gezogene Tomaten, Obst, eine Thermoskanne mit Eistee, echtes Silberbesteck und eine leinene Serviette. Davor lag der Kalvarienberg des Vormittags, danach kam das nackte Kreuz des Nachmittags und erst viel später Auferstehung und Himmelfahrt zur Cocktailstunde. Jetzt versetzte ihr der Gedanke einen scharfen Stich, Blitz und Donner könnten Owen fernhalten, vielleicht gab es ja eine uralte und geheime Regel, die das Essen in entlegenen Studios im Wald während eines Gewitters untersagte, und sie hatte kurz die Vision, wie ihre Künstlerkollegen sich um einen üppig gedeckten Tisch im Großen Haus versammelten und dem Donner zuprosteten, der romantisch vor den Fenstern grollte.
    In diesem Augenblick, als sie gerade die erhobenen Gläser und die verzückten Gesichter vor sich sah, brach das Gewitter los. Ein Blitz erhellte den Raum, der Boden erbebte unter ihren Füßen. Und dann kam der Regen, fegte mit einem Sausen durch die Baumwipfel, einen scharfen Geruch nach Erde und nasser, wuchernder Vegetation vor sich hertreibend, und auf einmal prasselte er aufs Dach, gurgelte in der Regenrinne und fegte zum Fenster herein. Ein zweiter Schlag erschütterte das Studio, dann ein dritter, ihre Papiere wurden zu Boden geweht. Schnell schloss sie die Fenster, erst das hinter dem Schreibtisch, dann das in der Ecke beim Kamin, und dann – erstarrte sie.
    Auf der Veranda stand jemand.
    Ein Schatten huschte am Fliegengitter der Tür vorbei, sie sah den stumpfen Schimmer des Essensbehälters, und dann schrie sie. Er blieb stehen, und sie sah ihn genau so wie in jener Nacht im Peagler Sound, das Gesicht mit Kratzern und Schrammen übersät, das nasse Haar wie rötlicher Lehm, ein verschreckter Blick in den ausgewaschenen Augen. Er sah sie. Ihre Blicke trafen sich. Und dann rannte er davon, in seinen Armen der Essensbehälter, glatt und feucht und glänzend wie ein neugeborenes Baby.

HOG HAMMOCK
    An dem Tag, nachdem er vom Schiff gesprungen war und diverse Kleinigkeiten kontemplativ durchlebt hatte, etwa den eigenen Tod an der Brust des schwarz schwappenden Atlantik, erwachte Hiro Tanaka in einem filzigen Schlickgrasgestrüpp. Die Sonne stand hoch, und während er völlig erschöpft schlief, hatte sie ihm Gesicht, Hände und Fußsohlen verbrannt. Er lag auf dem Rücken, in knapp zehn Zentimeter Salzwasser, auf einer blassweißen Tapisserie aus Wurzeln, die den Schlamm bedeckte. Es handelte sich um das Wurzelgeflecht des Schlickgrases Spartina alterniflora. Hätte er es mit dem Taschenmesser durchschnitten, das er klugerweise wieder eingesteckt hatte, ehe er von der Backbordnock der Tokachi-maru gehechtet war, wäre er sofort bis zum Hals im Schlamm versunken. Aber er dachte nicht an die Wurzeln, den Schlamm, das Taschenmesser oder an die unzähligen haarfeinen Schnitte, die ihm die rasiermesserscharfen Halme zugefügt hatten, als er im Dunkeln an Land gewankt war. Nach der ersten Überraschung, zu Vogelgezwitscher und dem Geruch von Schlamm statt zu stampfenden Decks und Schwerölgestank aufzuwachen, richteten sich seine Gedanken ausschließlich auf sein Nahrungsbedürfnis.
    Zunächst einmal hatte er Durst. Nein, nicht einfach Durst, sondern jenen wahnsinnigen, unbarmherzigen Durst, der Yukkapalmen verdorren lässt und in Afrika ganze Siedlungen zugrunde richtet. Seit der alte Kuroda ihm vor zwei Tagen die Blechtasse und die zwei Reisbällchen gebracht hatte, war ihm kein Schluck Süßwasser mehr über die Lippen gekommen. Salz verklebte ihm die Haare in den Nasenlöchern und die Augenlider, bildete Krusten auf seinen Mandeln und Polypen, drückte ihm den Hals ab wie

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