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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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– wirklich, das war sie –, aber in einer unangreifbaren Nische ihrer Psyche spielte auch sie Theater, und sie wusste es. Wenn sie mir nur zuhören würden , dachte sie, wenn sie wüssten … Wie sie so an Saxbys Seite stand, mit ihren langen, schlanken braun gebrannten Beinen, am ganzen Körper zitternd vor Wut und Wagemut und verletzt über die Art, in der alle sie bisher ignoriert hatten, als wäre sie ein Niemand, ein Nichts, da war ihr klar, dass sie jetzt die Beachtung der anderen hatte. Und wie sie die hatte. Bobs Grinsen war wie weggewischt, die schieläugige Komponistin sah aus, als hätte sie eine Ohrfeige bekommen, und sogar Irving Thalamus, der Mann mit dem Pokergesicht und dem unbewegten Blick, hatte einen veränderten Ausdruck. Sonst von katzenhafter Bosheit, erinnerte er jetzt an einen alten Kater, der den Hauch einer sexuellen Botschaft – ganz leise und fern, nur ein Molekül im Wind – auffängt. »Tut doch was!«, verlangte sie. »Kann vielleicht irgend einer bitte etwas tun?«
    Kurz darauf saß sie am Spieltisch neben Thalamus, zusammengesunken und ausgebrannt, während Saxby und Bob losrannten, um die Küstenwache, den Sheriff, die Ortsgruppe der »Veterans of Foreign Wars« und die Freiwillige Feuerwehr zu alarmieren.
    »Na, es wird schon wieder«, sagte er, und sie starrte auf die Eidechsenhaut, in der seine Augen versanken, sah zu, wie er seine wirren schwarzen Schmalzlocken zurückstrich. Er war zweiundfünfzig. Er war eine Institution. Seine Lippen waren trocken und hart, seine Zähne aus einem Guss, spitz und weiß. »Du hast genau richtig gehandelt. Wir brauchen eben alle mal einen Tritt in den Hintern, nicht?«
    Sie blickte auf, fühlte sich elend, aber doch nicht so elend, und er nahm ihre Hand und schüttelte sie, das Gesicht wieder zur ironischen Maske erstarrt.
    Jetzt aber saß sie in »Hart Crane« und schrieb oder versuchte zu schreiben, und auf einmal stand ihr die Japanerin genau vor Augen, diese traurige, zum Untergang verurteilte Heldin, die den Tod in sich einsog, die Brandung gelblich im fahlen Licht, ihre Kinder für immer verloren. Jetzt sah sie es vor sich, die ganze Szene, die Worte lagen ihr auf den Lippen, brannten ihr unter den Nägeln, als der erste Blitz zwischen den Bäumen zuckte. Im selben Augenblick spürte sie auch den Wind. Schwer und erfrischend rüttelte er am Fliegengitter und spielte mit dem Papier auf ihrem Schreibtisch. Ruth konnte nicht widerstehen. Sie schob die Schreibmaschine weg, stand auf und trat ans Fenster, um zu sehen, wie der Himmel über ihr immer schwärzer wurde. Lange stand sie dort, beobachtete die peitschenden Äste und das Farbenspiel der Blätter, von Grün zu Grau und wieder zu Grün, und dann regte sich etwas in der tiefsten Tiefe ihres Magens, und sie dachte ans Mittagessen.
    Diese Regung war ihre innere Uhr. Jeden Tag zwischen zwölf und eins schlich sich Owen Birkshead, ein eingefleischter Pfadfinder, an die Studios heran, unhörbar wie ein Mohikaner, eine Katze, ein Gespenst, und hängte einen Essensbehälter an den Haken neben der Tür. Er spielte dabei ein kleines Spielchen, gab sich Mühe, lautlos und unsichtbar zu sein, um die Künstler nicht bei der Arbeit zu stören, und Ruth spielte ihr eigenes Spiel mit ihm: Sobald ihr Magen die Mittagsstunde anzeigte, saß sie stocksteif und mit gespitzten Ohren an der Schreibmaschine und wartete auf das verräterische Quietschen des Plastikbehälters am Haken oder auf ein Knacken von Laub oder Zweigen. Dann drehte sie sich um, ein strahlendes Lächeln auf den Lippen, und rief mit der ganzen gequälten Fröhlichkeit der Hausfrau in einer Familienserie: »Hallo, Owen!« Manchmal erwischte sie ihn, manchmal auch nicht.
    Am Vortag war es eigenartig gelaufen. Nicht nur hatte sie ihn nicht erwischt, es war überhaupt kein Mittagessen da gewesen. Schon seit dem ersten warnenden Grummeln ihres Verdauungstrakts und erst recht zu dessen zunehmend empörtem Grollen und Knurren war sie den ganzen langen Nachmittag hindurch alle zehn Minuten aufgestanden, um am Haken nachzusehen, hatte ihn aber jedes Mal leer und verlassen vorgefunden. Am Abend behauptete Owen steif und fest, er habe ihr das Essen gebracht – und wo eigentlich das Plastikgefäß geblieben sei, wollte er wissen. Vielleicht hatte ein Tier es geraubt? Hatte sie im Gebüsch rund ums Haus nachgesehen? Sie hatte drohend den Zeigefinger erhoben, wohl wissend, dass Peter Anserine, die Nase tief in einem Buch vergraben, zuhörte.

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