Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
Vom Netzwerk:
dalag wie die Zypressen, die über ihnen aufragten. Jeff hatte allein auf dieses Tier an die zwei Filme verschossen, und jedes Foto würde gleich aussehen, das wusste er – Alligator im Schlick –, aber es hatte ihn einfach übermannt. Später am Tag, als die Alligatoren überall auftauchten, so selbstverständlich wie Pudel im Park, gewöhnte sich die Familie bald so sehr an ihre Gegenwart, dass Jeff junior etwas sehr Dummes getan hatte. Ein großer Alligator – drei, dreieinhalb Meter lang – hatte sich ans Kanu herangeschoben, als sie gerade die Sandwiches mit Hähnchenbrust und Avocadocreme verspeisten, die Julie am Vorabend zubereitet hatte, und Jeff junior, aus Langeweile, Unachtsamkeit oder weil ganz einfach ein kleiner Teufel in ihm saß, wie es bei Jungen vorkommen kann, hatte ihm Brot und Salat in kleinen Stücken ins Wasser geworfen, die der Alligator brav verschlang. Das war noch nicht weiter schlimm gewesen. Aber aus Vertrautheit wird schnell Verachtung, wie Jeffs Vater oft gesagt hatte, und so schleuderte Jeffie irgendwann einen Apfel auf das Vieh. Gezielt. Und Jeffie war ein ziemlich guter Werfer, der Beste in seinem Juniorliga-Baseballteam, deshalb knallte der Apfel dem Alligator genau zwischen die Augen – worauf urplötzlich die Hölle losbrach. Das Tier war aus dem Wasser emporgeschnellt und wieder eingetaucht wie ein Turmspringer bei einer Wasserbombe, und dann war es weg, aber das Kanu schaukelte dermaßen heftig, dass das Wasser über die Ränder hereinschwappte und die Fototasche, den Picknickkorb und Jeffies Rucksack durchnässte. Es war knapp gewesen, und Jeff junior war so durcheinander davon – große Augen und zitternde Schultern –, dass Vater Jeff sich die Standpauke für den Abend aufgehoben hatte, als sie ihr Lager aufschlugen.
    Jetzt aber kamen sie immer näher auf etwas zu, was immer es war – er sah nun auch eine heftige Bewegung im Gestrüpp vor ihnen –, und plötzlich kreischte Jeffie auf: »Es ist ein Bär! Ein – ein – ein Braunbär, ein großer brauner Bär!«
    Ein Bär! Jeff spürte, wie sein Puls sofort schneller ging – ein Bär konnte sie angreifen, das Kanu umwerfen, sie von einem Augenblick auf den anderen den Schlangen und Alligatoren und Schnappschildkröten ausliefern. Hastig paddelte er rückwärts, seine Augen suchten die Vegetation ab – ja, da war er, ein brauner Fleck, das junge Schilfrohr erbebte, es klatschte, dann noch einmal –
    Es war doch kein Bär – alle lachten befreit auf –, es waren zwei Fischotter. Otter. »Du meine Güte«, keuchte Julie, »du hast mich ja zu Tode erschreckt, Jeffie.« Sie hatte den Feldstecher in den Schoß sinken lassen, und im Schatten des Tropenhelms war ihr Gesicht ganz bleich. Die Otter tauchten ab, kamen auf der anderen Seite des Bootes wieder zum Vorschein und musterten sie mit prüfendem Blick.
    Sie waren wie Hundewelpen, daran erinnerten sie ihn, an zapplige, verspielte junge Hunde, und sie bezogen das Kanu augenblicklich in ihre wilde Verfolgungsjagd ein. Es war ein tolles Schauspiel, und sie sahen ihnen eine halbe Stunde lang zu, bevor Jeff sich besann, auf die Uhr blickte und sie sich wieder auf den Weg machten.
    Sie mussten sich nämlich an einen amtlich vorgeschriebenen Zeitplan halten. Jeff hatte diesen Kanuausflug ein Jahr im Voraus gebucht, sobald er die feste Zusage von Turners Filmfirma bekommen und sein Haus verkauft hatte. Die Nationalparkverwaltung ließ nur sechs Kanubesatzungen gleichzeitig im Sumpf übernachten, und die Konkurrenz um diese sechs Genehmigungen war erbittert. Jede Gruppe hatte sich an eine festgelegte Route zu halten und die vorgesehene Camping-Plattform laut Parkordnung bis sechs Uhr abends zu erreichen, dem Zeitpunkt, an dem die Rangers die Zufahrten für die Nacht schlossen und alle Angler, Ornithologen und sonstigen Tagesausflügler zur Anlegestelle zurückkehren mussten. In den Broschüren wurde erklärt, dass diese Zeitvorgabe – nach sechs durfte kein Paddel mehr im Wasser sein, und wer über Nacht blieb, musste sich auf den erhöhten Plattformen aufhalten – den Kanutouristen zur eigenen Sicherheit diente. Der Sumpf war voller Gefahren, überall wimmelte es von Alligatoren, von Mokassin-, Korallen- und Klapperschlangen, und Jeff fand das auch höchst aufregend, aber er war ein vernünftiger, pünktlicher Mensch, der Überraschungen im Grunde nicht mochte, und Vorschriften befolgte er immer peinlich genau, sogar auf der Autobahn, wo er die

Weitere Kostenlose Bücher