Der Samurai von Savannah
den Napfkuchen aus, er kotzte, bis er die bitteren purpurschwarzen Beeren und den eigenen Gallesaft schmeckte. Lange Zeit lag er so da, unfähig sich zu bewegen, winzige schillernde Fliegen ließen sich auf dem Erbrochenen nieder, das langsam durch die Ritzen der Plattform tropfte, um die unten wartenden Mäuler zu füttern. Dann aber packte ihn neuerlich der Schmerz, und er kam schwerfällig auf die Beine und wankte in Richtung des primitiv gezimmerten Toilettenhäuschens.
Die Fliegen hießen ihn willkommen. Sie erhoben sich aus dem chemischen Maul dieses Scheißhauses, in einem Miasma von tanzenden Schnaken und dem Gestank nach Chemikalien und menschlichem Kot. Er zog die Hose herunter, ein Messer arbeitete in seinen Gedärmen, der schwarze, dampfende Geruch nach Scheiße – nach amerikanischer Scheiße, nach Julie Jeffcoats Scheiße – stach ihm in die Nase. »Amerikajin« , fluchte er laut, während seine Gedärme aus ihm herausplatzten. Was für dreckige Wesen sie doch waren, ließen sich da auf Plastikbrillen nieder, wo sich vor ihnen schon tausend andere niedergelassen hatten, nahmen den Dreck ihrer Verdauung mit an den Tisch, aßen ungerührt wie Felsbrocken, während Hinterteil und Schuhe noch nach Toilette stanken. Mein Gott, dachte er, und schlug sich heftig auf die Brust, um nicht vor Schmerz ohnmächtig zu werden, das waren ja Tiere, ja, Tiere waren sie, und er hasste sie.
Er wusste nicht, wie lange er so dagesessen hatte – er musste eingenickt sein –, aber er erwachte von einem Stich in den Fußknöchel und vom ekelhaften, fauligen Gestank der eigenen Exkremente. An seinen Schläfen klebte kalter Schweiß. Er war krank – er hatte Gelbfieber, Dysenterie, Enzephalitis, Hakenwürmer, Malaria, alle Schmutzkrankheiten eines schmutzigen Ortes –, und er brauchte Medizin, ein Bett, seine obāsan. Aber nein, nicht seine obāsan – seine Mutter, seine tote Mutter, seine Mama. »Haha!«, schrie er heraus wie ein Säugling, mit gepresster Stimme, die seltsam in seinen Ohren klang. »Mama!« Und dann schlief er wieder ein, auf dem Plastikthron sitzend, auf dem auch schon Julie Jeffcoat gesessen hatte, und Jeff Jeffcoat und Jeffie und Legionen namenloser Butterstinker vor ihnen, weiße Gesichter, die seinen Traum überrannten wie eine Invasionsarmee.
Als er wieder aufwachte, fühlte er sich besser. Er überlegte kurz, wo er war, dann wusste er es, und die Angst vor den hakujin und vor den Jägern packte ihn wieder. Sie waren da draußen, ganz bestimmt, und er saß in der Falle. Er dachte an Musashi, den legendären Samurai, der sich einst vor seinen Feinden in einer Latrine versteckt hatte, unter dem Kot begraben, nur mit einem Strohhalm zum Atmen, und dieser Gedanke ließ ihn in Aktion treten. Er sprang von dem Toilettensitz auf, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen, zog sich hektisch die abgeschnittenen Jeans wieder hoch und spähte durch den Türspalt. Er rechnete mit Dämonen, Langnasen, ketō , dem ganzen Albtraum, in den er sich vom Seitendeck der Tokachi-maru hineingestürzt hatte, rechnete mit Schrotflinten, Megafonen, den gebleckten Fängen und dem bedrohlichen Knurren der Hunde … doch da war nichts. Nichts als der in der Sonne dumpf dahinvegetierende Sumpf, Mutterschoß und Grab allen Lebens. Er öffnete leise die Tür. Schob sich hinaus. Und dann spürte er die Hitze, der Kopf tat ihm weh, und in seine Augen traten Tränen, als ihn das Fieber erneut packte.
Die Tür fiel hinter ihm zu, und die Planken knackten unter seinen Füßen, ehe ihm klar wurde, wie sehr er sich geirrt hatte. Er war doch nicht allein auf der Plattform. Da war unbestreitbar etwas, viel zu groß, als dass man es übersehen konnte, etwas Kaltblütiges, Vorsintflutliches, Muskelstrotzendes, das in diesem Moment seine lang gestreckte, grinsende Schnauze auf ihn richtete und ihn mit eisigem Blick fixierte. Das riesige Vieh ließ die Plattform winzig erscheinen, der gezackte Schwanz und ein klauenbewehrter Fuß hingen über die Kante in den Tümpel, der gewellte Bauch erstreckte sich über die gesamte Länge der Plattform, und im Vordergrund legte sich der harte, blasse, lange Kiefer über die Tüte mit den Sandwiches und dem restlichen Essen, presste sie mit dem Gewicht eines Ambosses gegen das Holz. Hiro betrachtete das Tier und spürte schlagartig, wie das Fieber seinen Griff lockerte. Sein Herz hämmerte gegen die Rippen, hinter den Schläfen bohrte der Schmerz. Er musste im Geiste die Worte formen, bevor er
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