Der Samurai von Savannah
begriff: er stand keine zwei Meter vor einem Krokodil, das so lang wie ein Kanu war, und es sah ihn an und er sah es an. Es war keine angenehme Situation. Es war eine böse, gefährliche Situation. Es war eine Situation, die sogar Jōchō vor Probleme gestellt hätte.
Lange Zeit verstrich, während der ihn die Bestie nur aus diesem reglosen Auge anblickte, wie erstarrt in ihrer ganzen Länge und Masse, die Statue eines Krokodils, aus Stein gehauen. Hiro konnte es riechen, die Poren des Tiers verströmten einen wilden Geruch nach der tiefsten Tiefe, nach Verwesung und Einsamkeit und dem dunklen, stillen Entweichen von Sumpfgas. In einem kurzen lichten Moment überlegte er, ob er in die Latrine zurückschlüpfen und die Tür verrammeln sollte, um sich an den Deckenbalken hochzuziehen und sein Leben aufs Dach zu retten, oder sich lieber von der Plattform hechten und durch den nassen Schlick auf die Bäume zusprinten sollte. Keine dieser Optionen schien ihm wirklich überzeugend. Letztlich stand er reglos da, segelte in den Hafen der Bewusstlosigkeit hinein und wieder hinaus, wollte in einem Moment den Arm ausstrecken, um die Bestie zu streicheln, auf ihr in die kühlen Tiefen hinabreiten, um dort sein Essen mit ihr zu teilen, und im nächsten Augenblick sah er den eigenen Tod in den eisernen Kiefern vor sich, sein Fleisch in Fetzen, seine Verdauung und letztendliche Umwandlung in Krokodilkacke. Schließlich erwachte das träge, aufgedunsene Vieh zu plötzlichem Leben, als hätte es genug von der ganzen Sache, und glitt mit rasanter, überraschender Grazie von der Plattform ins Wasser, wobei es unabsichtlich die Tüte mit den Nahrungsmitteln mitriss.
Egal, dachte Hiro. Er hatte sowieso keinen Hunger.
Als er das nächste Mal zu sich kam, lag er auf einem Schlammhügel, und die gewohnten Wesen ernährten sich von ihm. Er sah an sich hinab und stellte fest, dass er die Segeltuchschuhe verloren hatte und dass seine Füße wund gescheuert, geschwollen und an Hunderten von Stellen aufgerissen waren. Kleine, formlose Dinger, wie er sie sich vor einer Ewigkeit bei dem Coca-Cola-Geschäft von den Beinen gezupft hatte, klebten ihm dick und fett an Waden und Schenkeln. Er setzte sich auf und zog sie herunter, eins nach dem anderen, und jedes hinterließ einen feuchten blassrosa Blutfleck, der von seinem Vordringen ins Körperinnere zeugte. Inzwischen viel zu sehr mit seiner Umwelt verwoben, um auf die Moskitos und Schmeißfliegen zu achten, blickte Hiro durch die verschränkten Finger zum Himmel und sah, wie die Wolken auf die schwindende Sonne vorrückten.
Er musste weg, hatte einen weiten Weg vor sich, das wusste er. Aber er fühlte sich leicht, nicht nur im Kopf, sondern auch in den Knochen, er fühlte sich berauscht – großartig, selig, wonniglich berauscht. Hatte er Sake getrunken? Ja, er lag auf einmal in der Koje, und sie überquerten den Pazifik mit der dicken grünen Wasserhaut, er und Ajioka-san hatten in der Kantine Sake getrunken und einander von Amerika vorgeschwärmt, von den aufregenden Dingen dort, vom Amerika der Filmstars, vom Rock ’n’ Roll, den langbeinigen Frauen und dem Rindfleisch. Ganz zu schweigen vom Wechselkurs. Ein gewöhnlicher Matrose, sogar ein Hilfsmaschinist, wäre dort ein gemachter Mann. Und es gab so viel Platz dort, das sah man an den Villen der amerikajin mit vier Badezimmern und ihren Cadillacs mit Whiskey-Bars auf dem Rücksitz. Den Sake hatten sie erhitzt, weil draußen ein starker Wind blies, der Hiro bei der Deckswache ausgekühlt hatte, und jetzt war er betrunken.
Aber es war wunderbar. Ein ganzer Zirkus spielte sich vor seinen Augen ab, während er so dalag. Vögel mit Beinen, die größer als ihre Flügel waren, sprangen von Lilienblatt zu Lilienblatt, ein heiliger Kranich flog ungelenk über ihn hinweg, ringsherum bliesen sich Frösche auf und ließen wieder Luft ab. Er drehte die Wange ein Stück auf dem schlammigen Kissen, und da saß ein Frosch direkt vor ihm, hockte mit dickem Bauch über den sprungbereiten Beinen. Und dann pumpte dieser Frosch sein hara wie durch Zauberei auf und entließ ein schallendes Rülpsgeräusch, das alle übrigen Frösche für einen Sekundenbruchteil verstummen ließ, bis sie ihrerseits Luft holen und eine Antwort zurückrülpsen konnten. Es war witzig. Urkomisch. Besser als jeder Zeichentrickfilm. Er lachte, bis er auf einmal wieder das Schwert in den Gedärmen spürte, und dann musste er aufstehen und mit seiner Hose kämpfen.
Der Tag mochte
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