Der Samurai von Savannah
Gelegenheitsjobs für die Weißen in Tupelo Shores Estates, wenn er ein bisschen Taschengeld für Kautabak, etwas zu trinken oder eine neue Batterie für das vanillefarbene Transistorradio brauchte, das ihm an kühlen Abenden die Spiele der Atlanta Braves ins Haus holte. Vor sechs Monaten hatte er seinen Bruder Wheeler, mit dem er alle Vormittage, Nachmittage und Abende ihres gemeinsamen Junggesellenlebens verbracht hatte, im Familiengrab hinten im Garten beerdigt.
An diesem Abend schnitt Olmstead White eine Gurke und eine Tomate, bereitete eine Beilage aus Blattgemüse zu und frittierte ein Dutzend frische saftige Austern, die er von den Schalen befreit, erst in Mehl, dann in Maismehl gewälzt und schließlich mit Cayennepfeffer bestreut hatte. An Wheeler dachte er nicht direkt,
auch nicht an seinen Neffen Royal, den Jungen von Eulonia, mit dem er sich manchmal bis tief in die Nacht das verrückte Theater im MTV -Musiksender ansah – oh, diese Frisuren, er fand sie zum Schreien –, noch achtete er allzu sehr auf den Radiosprecher, der mit Grabesstimme vermeldete, dass die Braves es wieder einmal versiebten. Eigentlich dachte er an gar nichts, sein Verstand verharrte in einer Art Scheintod, während das Fett brutzelte, die Vögel in den Bäumen sangen und die Sonne die Fliegengitter zum Schillern brachte. Wie üblich, und ohne nachzudenken, machte er einen kleinen Teller für Wheeler zurecht. Später, in der Dämmerung, wenn Gant und Murphy und Thomas und die übrigen Amateure aus Atlanta es aufgegeben hätten und nichts mehr gegen den Ansturm der unbezwingbaren New York Mets ausrichten könnten, würde er das Essen seinem Bruder aufs Grab stellen und dafür den leeren Teller vom Vorabend wieder mitnehmen.
Wie seine Freunde und Nachbarn in Hog Hammock sprach Olmstead White den Gullah-Dialekt seiner Vorfahren, ein Idiom, das reichhaltige Anleihen bei den westafrikanischen Sprachen der Haussa, Wolof, Mbundu und Ibo nahm. Zu diesem Dialekt gehörte eine verschwommene sprachliche Erinnerung an jenen fernen Erdteil, den Aberglauben und die Stammesriten, die dort vor undenklicher Zeit gediehen waren. Olmstead White war zutiefst abergläubisch, und wer wäre das nicht in einer Welt ohne Vernunft und Erklärung, einer Welt, in der es nur so wimmelt vor Geistern und Hexen und Stimmen in der Nacht? Er glaubte an Gespenster und Schattenwesen, glaubte an Voodoo und Juju, an Zaubersprüche, Verwünschungen und alte Vetteln, die einen so verhexen können, dass man einschrumpelt wie ein Selleriestrunk, der zu lange in der Sonne liegt. Daher tat er sein Bestes, um Wheelers Geist zu beschwichtigen: mit Kleidergeschenken, mal mit einem Satz Spielkarten, mal mit einer Zeitschrift, und immer mit einer schönen Portion von seinem Nachtmahl, Abend für Abend. Jeden Morgen stand der Teller auf der Erde, und immer war er sauber abgeschleckt. Waren es die Waschbären, die Opossums, die Wildschweine, die Hunde oder die Krähen, die das Essen verschlangen? Möglicherweise. Aber ganz genau wusste das nur Wheeler.
So zischte und brutzelte also der Speck im Fett, und der süße Duft der gebackenen Austern verwandelte die Zwei-Zimmer- Hütte aus Schindeln – blau gestrichen und mit einer blauen Pyramide am Schornstein, um die Hexen fernzuhalten – in ein schickes Restaurant, so wie die in Charleston mit Topfpalmen im Speisesaal, und Olmstead White dachte an gar nichts, die Gabel in seiner Hand rührte wie aus eigenem Willen. Es war still im Haus. Eine Fliege hatte sich am Maschendrahtfenster verfangen. Es war in diesem Augenblick, während die Fliege um ihr Leben kämpfte und die Welt sich verlangsamte wie ein heruntergekommenes altes Karussell, dass er zu sich kam und die Gegenwart eines anderen Wesens in dem dunstigen Raum spürte. Er stand mit dem Rücken zur Tür, seine Hand rührte, das Radio plapperte, Dale Murphy verpatzte gerade einen Ball, und nichts hatte sich geändert, überhaupt nichts, aber ebenso wie er wusste, dass er lebte und atmete, so sicher wusste er, dass außer ihm noch jemand – oder noch etwas – da war.
Er fühlte sich wie ein Mann, der aus einem Koma aufwacht, benommen wie Br’er Rabbit mit der Teerpuppe in der Hand, ein Schauer durchfuhr ihn, als ihm einfiel, wie man Varner Arms in seiner eigenen Küche tot aufgefunden hatte, die Wände mit Blut bespritzt und Hexenhaar – dicke Büschel von wildem schwarzem Haar – auf dem Linoleum verstreut wie ein Gruß aus der finstersten Hölle. Seine Schultern
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