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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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klebten.
    Als er wieder erwachte, versank die Sonne zwischen den Bäumen hinter ihm. Anfangs war er desorientiert, in die Leere des Schlafes drangen allmählich Farben ein, Bewegungen und der Gestank des Schlamms, dann holte ihn das Wasser endgültig zurück: Er war in den Vereinigten Staaten von Amerika, er war am Verhungern, und es kam gerade die Flut. Er fühlte sie warm am Kinn, an den Schultern, an der Rundung seines Unterleibs. Mit einem Ruck erhob er sich auf die Ellenbogen. Ihm war schwindlig. Der Gürtel aus schwarzem Isolierband schnitt ihm ins Fleisch, und am linken Schienbein verspürte er einen heftigen, pochenden Schmerz – war er damit gegen den Bootsrumpf gestoßen, als diese Butterstinker ihn im Dunkeln überfallen hatten?
    Er wusste es nicht. Es war ihm auch egal. Er wusste nur, dass er aufstehen musste. Irgendwohin gehen musste. Eine menschliche Behausung suchen, wie ein Gespenst durchs Fenster eindringen und einen jener allgegenwärtigen, turmartigen Kühlschränke finden musste, in denen Amerikaner die Dinge aufbewahren, die sie gern essen. Gerade ließ er das Bild dieses typischen Kühlschranks vor seinen Augen aufsteigen, vollgestopft mit Gewürzgurken, Schokokaramellen und in schwitzende Plastikfolie gehülltes Fleisch, mit denen Amerikaner sich zu mästen schienen, da bemerkte er auf einmal den leisen, aber stetigen Druck an der Innenseite seines rechten Oberschenkels. Er erstarrte. Auf dem zerrissenen Hosenbein saß, die sonnenverbrannte Haut seines Schenkels mit feinschmeckerischem Interesse begutachtend, eine kleine glänzende Krabbe mit violettem Rücken. Sie war so groß wie ein Reisbällchen.
    Er würde diese Krabbe essen, das wusste er genau.
    Einen gespannten Moment lang betrachtete er das Tier, wagte sich nicht zu rühren, seine Hand lag ruhig, aber bereit. Die Krabbe hockte ahnungslos da, Wasser blubberte durch ihre Lippen – waren das ihre Lippen? –, und sie kämmte sich die Stielaugen mit einer riesenhaften Schere. Hiro dachte an die Krabbenpasteten, die seine Großmutter immer gemacht hatte, weißes, flockiges Krabbenfleisch mit Reis und Gurken, und ehe er sich’s versah, hatte er das Vieh gepackt, es gab ein Gewusel aus schnappenden Scheren und strampelnden Beinen, dann schob er sie in den Mund. Der Panzer war hart und unangenehm – er kaute sich wie Plastik oder das spröde Milchglas von Leuchtstoffröhren –, doch darunter war es feucht, und dann kam ein kleiner salziger Klumpen Fleisch, der ihn sofort belebte. Er lutschte die Panzerschalen aus, zermalmte sie mit den Zähnen und schluckte sie hinunter. Dann hielt er Ausschau nach einer weiteren Krabbe.
    Leider war keine zu sehen. Aber ein Grashüpfer mit grünem Rücken und fettem gelbem Bauch beging den Fehler, auf Hiros Hemd zu landen. Mit einer schnellen Bewegung fing er ihn, steckte ihn in den Mund und verschlang ihn, doch währenddessen brüllte sein hara schon nach mehr. Plötzlich war er auf den Beinen, stolperte durch das hohe, dichte Gras, achtete nicht auf die scharfen Halme, die ihm Füße und Schienbeine, Hände, Arme und Gesicht zerschnitten. Er war wie in Trance, das olfaktorische Gespür, das ihn auf dem Meer heimgesucht hatte, kehrte nun mit aller Macht zurück. Diktatorisch und zielstrebig führte ihn seine Nase, führte ihn durch einen schmalen Wasserarm und in den Schatten der bemoosten Äste eines Waldes am Rand des Sumpfes. Er roch Wasser – altes Wasser, abgestanden und schmutzig, stehendes Wasser von Morasten, Gräben und Rinnen, aber dennoch war es Wasser … und weit weg, an der Peripherie seiner Sinneswahrnehmung, fing er einen einzelnen, leisen, elektrisierenden Hauch auf: Es war in der Pfanne brutzelndes Fett.
    Es war die goldene Stunde des Tages, wenn die Sonne weich ist wie ein großer Klecks Butter, und Olmstead White, der Urenkel eines Sklaven, der der Sohn eines Sklaven war, welcher als freier Mann vom Stamm der Ibo in Westafrika geboren war, bereitete sich gerade sein Abendbrot. Er war achtundsechzig, mit Armen und Beinen so trocken und sehnig wie Dörrfleisch und einem Gesicht, hart gebrannt von der Morgensonne, die sich auf dem Meer spiegelte. Geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen war er auf Tupelo Island, und in seinem ganzen Leben hatte er kaum zwei Dutzend Mal die Fahrt zum Festland hinüber gemacht. In seinem Garten wuchsen prächtige Maisstauden und hochgebundene Tomatenpflanzen, er hielt ein paar Schweine, fing Fische, Krabben, Garnelen und Austern, und er erledigte

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