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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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an die Nachbartür klopfen und flüstern: » Es la hora, es la hora. « Sie schloss die Augen und spürte den Schmerz auf der Unterseite ihrer Lider wabern. Ihre Kehle war staubtrocken, die Schläfen fühlten sich an, als wären Pfähle hineingetrieben, und sie musste pinkeln. Dringend. Aber noch im Liegen wusste sie, dass die schieläugige Komponistin – Clara Kleinschmidt – das Gemeinschaftsbad um die Ecke schon vor ihr belegt hatte und dass aus der Toilette am anderen Ende des Korridors jeden Moment das donnernde Prasseln von Irving Thalamus’ mächtigem Morgenharn widerhallen würde.
    Endgültig aus dem Bett getrieben wurde sie aber weder von der Dringlichkeit ihres Bedürfnisses noch vom Schmerz, sondern von Schuldgefühlen. Es waren gesunde, produktive, altmodische, zermürbende Schuldgefühle. Sie musste aufstehen. Schließlich war sie Schriftstellerin, und Schriftsteller standen frühmorgens auf und schrieben. Ihre Gegner – wie mit einer glühenden Feuerzange packte sie das schemenhafte Bild von Jane Shine in all ihrer falschen, berechnenden, hassenswerten, schüchtern lächelnden Schönheit – waren sicher schon auf, saßen vor ihren Schreibmaschinen und Monitoren, waren längst aus den Startlöchern und rasten auf der Innenbahn davon, um ihr ihren verdienten Platz in Harper’s oder Esquire , bei Knopf oder Viking oder Random House streitig zu machen. Außerdem war es ja so viel leichter, sich Schuldgefühlen zu stellen, wenn einem die Arbeit gerade gut von der Hand ging – und das war bei ihr, endlich, der Fall.
    Die Verwandlung hatte in jener Nacht begonnen, als sie vor der kleinen Gruppe im Billardzimmer aufgebraust war, obwohl ihr das damals gar nicht so bewusst war. Tatsächlich war die folgende Woche sogar noch schlimmer gewesen als die erste. In der ersten Woche hatte sie zumindest die Ausrede gehabt, noch neu und verunsichert zu sein, aber während die zweite sich dahinschleppte, spürte sie immer mehr Distanziertheit und Langeweile. Sie frühstückte weiter am Stillen Tisch, trübsinnig und abweisend, und die Abende mit Saxby waren ihr einziger Trost. Aber etwas war geschehen, es hatte eine subtile Verschiebung unter den Fixsternen am Firmament von Thanatopsis House gegeben, und Ruths Gestirn war ganz eindeutig im Steigen begriffen. Zum Beispiel genoss sie nun das Wohlwollen von Irving Thalamus. Er hatte sie an jenem Abend bemerkt, o ja, allerdings, und seine Aufmerksamkeiten – die ironischen Blicke, die kleinen Scherze und Stupser – waren ein Netz, das ihr Sicherheit gab. In der dritten Woche schaffte er es, sie aus dem Stillen Zimmer wegzulocken und sie für den rauen, frevlerischen Klatsch am Geselligen Tisch als seine Hauptverbündete zu etablieren. Gemeinsam durchquerten sie morgens das triste Stille Zimmer – grinsend, immer grinsend und mit einem Scherz auf den Lippen –, wo Laura Grobian in den wogenden Abgründen ihrer hohläugigen Spätvierziger-Schönheit verharrte, wo Peter Anserine und dessen Jünger asketisch über ihren unverständlichen Texten die Stirn runzelten. Und allabendlich – dies war Wurzel und Ursache ihres momentanen Katers wie auch des Katers, den sie am Morgen davor gehabt hatte, und des Katers, den sie am folgenden Morgen haben würde – nahm sie nun an seinem geselligen Kreis im Billardzimmer teil, denn dort konnte sie wirklich funkeln, konnte Spitzen austeilen und Paraden führen, konnte bezaubern, spotten, demolieren und wieder aufbauen, konnte endlich wieder sie selbst sein: La Dershowitz.
    Irgendwie empfand sie beinahe Mitleid mit ihren Rivalinnen. Seit jener schicksalhaften Nacht auf dem Meer war im Grunde keine von ihnen mehr im Rennen. Ina Soderbord war zwar recht attraktiv auf eine kräftige, klotzige Art, schwere Brüste und weißblonde Augenbrauen, aber sie siedelte in ihrer ganz persönlichen kleinen Ecke des interplanetaren Raums und sprach mit dem atemlosen Lispeln der hirnlosen Naiven. Mit Clara Kleinschmidt hatte es die Schwerkraft nicht gut gemeint, außerdem hatte sie einen tristen, säuerlichen Geruch an sich, den Duft von geerbter Spitze, Aussteuertruhen und dem schleichenden, lieblosen Tod vor der Quizshow und im Schaukelstuhl. Und Regina McIntyre, die Punk-Bildhauerin – ein Produkt von Ladycliff und Mount Holyoke College, wie Ruth nach mehrmaligem Nachfragen erfuhr –, verzehrte sich viel zu sehr in Selbsthass, um sich an Gesprächen zu beteiligen, abgesehen von gelegentlichen giftigen Ausbrüchen, und ihr gesamter Stil passte

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