Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
Vom Netzwerk:
etwas Wasser aus dem Krug in eine Waschschüssel und trug sie auf die Veranda hinaus. Dann holte sie auch den Krug und stellte ihn neben die Schüssel. Schließlich wühlte sie in der Plastiktüte und legte Seife, Pflaster, Handtuch, Kleider und alles andere nebeneinander auf das Geländer, stopfte sich die beiden Briefe in die hintere Hosentasche und machte sich durch die klösterliche Ruhe des Abends auf den Rückweg zum Thanatopsis House.
    Am nächsten Morgen waren die Sachen weg. Die Waschschüssel hatte er wieder an den Haken neben dem Kamin zurückgehängt, und die zerfetzte Latzhose ebenso wie Clara Kleinschmidts zweckentfremdeter Schlüpfer lagen ordentlich gefaltet in der Ecke. Am Nachmittag ließ er den Behälter mit Essen unangetastet, aber sie nahm ihn einfach nicht vom Haken – im Scherz dachte sie sich, ein paar Pfund weniger könnten ihr nicht schaden –, und am nächsten Morgen war er leer. Genauso geschah es am folgenden Tag, und sie glaubte schon, sie hätten ein Muster, einen Rhythmus entwickelt, aber das war ein Irrtum. Ein Tag verging, dann ein zweiter, und es gab kein Anzeichen, dass er da gewesen wäre. Essensportionen verdarben. Owen begriff es nicht. Abercorn packte seine Sachen zusammen und Turco seinen Gettoblaster ein, und nachdem sie den Kolonisten versichert hatten, der Japaner sei keine Gefahr mehr, kletterten sie in ihren klapprigen Datsun und fuhren in Richtung Fähre davon. Saxby füllte sein Aquarium mit Steinen, Wasser und Pflanzen, und in den frühen Morgenstunden der langen, dichten, endlosen Nächte brachte er Ruths Blut in Wallung mit seinen Lippen und Fingern und was sonst noch an ihm dran war. Und Ruth fasste Fuß im Billardzimmer und am Geselligen Frühstückstisch, und an ihre Schreibmaschine setzte sie sich mit einem neuen Ziel und einem herrlichen Kitzel sehnsüchtiger Erwartung: Er würde wiederkommen, ihr Japaner, und zwar sehr bald. Da war sie sich sicher. Denn schließlich, dachte sie, wie konnte er widerstehen?
    Jetzt aber, jetzt hatte sie Kopfschmerzen und einen Kater, und Owens Weckruf hatte sie überrascht. Der Morgen war stickig, wie eine dicke Decke über dem Gesicht, es war schon August, die erste Woche fast vorbei, und Hiro hatte seit drei Tagen kein Lebenszeichen von sich gegeben. Sie zwang sich zum Aufstehen. Es gab Arbeit zu erledigen – noch nie war ihr das Schreiben so leicht von der
    Hand gegangen –, und sie war begierig zu frühstücken, am Geselligen Tisch zu präsidieren und sich dort mit lauwarmem Kaffee und brühheißem Klatsch zu erfrischen.
    Sie fuhr sich mit der Bürste durchs Haar und band es zum Pferdeschwanz, schminkte sich die Augen und putzte die Zähne, dann fuhr sie in ein Paar Shorts und ein Oberteil, ohne BH , und angelte ihre weißen Baumwollsandalen mit Korkabsätzen unter dem Bett hervor. Beim Durchqueren des Stillen Zimmers blickte Laura Grobian von ihrem weich gekochten Ei auf und nahm sie mit einem Kopfnicken und einem Zwinkern der berühmten, gehetzt blickenden Augen zur Kenntnis, was in Ruth einen kurzen Schauder des Triumphs aufsteigen ließ. Dann trat sie durch die Eichenholztür in das Gesellige Zimmer, wo sie von Gelächter, Zigarettenrauch und den Rufen »La Dershowitz!«, »Aha, schon wach?« und »Gut drauf heute, wie?« begrüßt wurde.
    Bob, Sandy, Irving Thalamus, Ina Soderbord und ein halbes Dutzend andere saßen um den langen dunklen Tisch, vor ihnen ein Tohuwabohu aus dreimal gelesenen Zeitungen, Büchern, Manuskripten, mit Ei verklebten Tellern, Kaffeetassen und Aschenbechern. Eine Thermoskanne mit Kaffee stand wie eine große silberne Rakete auf dem Beistelltisch, zusammen mit einem Servierteller Waffeln und einer Schüssel voll Kompott. In der Küche machte Rico Toast und briet auf Bestellung Eier mit kanadischem Speck. Ruth steckte den Kopf durch die Schwingtür und sah gerade, wie er ein Omelett hinter dem Rücken in der Luft wendete. »Nicht übel«, sagte sie und stieß einen leisen Pfiff aus.
    Rico schenkte ihr ein Goldkronenlächeln. Er war zweiundzwanzig, fünfzehn Zentimeter kleiner als der Durchschnittsmann vernünftigerweise sein sollte, und sein Gesicht war von den großen, runden schwarzen Augen in tiefe Traurigkeit getaucht. »Kein Problem«, sagte er.
    »Könntest du mir bei Gelegenheit ein pochiertes Ei machen?«, bat sie ihn, lehnte sich ein Stück in die Küche hinein und balancierte dabei auf einem Bein. Ein intensiver, köstlicher Geruch hing in der Luft. »Und dazu vielleicht noch zwei

Weitere Kostenlose Bücher