Der Samurai von Savannah
nicht mal erkennen, wenn sie ihm zu den Ohren rauswuchs. Die Machete blitzte auf, gleichzeitig platschte es; Olmstead White drehte sich kurz um und sah schäumendes Wasser, nasse, weit ausholende Arme, glattes glänzendes Haar wie das eines Fischotters, aber er dachte nicht weiter darüber nach.
Er stutzte die Stechpalmen, die direkt vor dem Haus standen, und dann wandte er sich dem Swimmingpool zu. Die Glyzinie hatte er beim letzten Mal nicht geschnitten, und jetzt wucherten die schlangengleichen Zweige in alle Himmelsrichtungen, und die Hecke machte einen reichlich schäbigen Eindruck. Als er über den Rasen ging, die Machete locker in seiner gesunden Hand, musste er an seine Mutter denken; wieder so ein Streich, den ihm die Erinnerung spielte, als wäre die Gegenwart aus seinem Kopf weggefiltert und die Vergangenheit bräche mit all ihren wichtigen und unwichtigen Einzelheiten über ihn herein. Er sah nichts anderes als ein einziges Bild, das ihm jetzt glasklar, wie in Eis eingeschlossen, vor Augen trat: seine Mutter am Herd, er selbst und Wheeler und sein Daddy am Tisch sitzend, draußen das wilde Hexengeschrei eines Hurrikans, das ihnen in den Ohren pfiff und die Fenster klirren ließ, und seine Mama hantierte mit der gusseisernen Pfanne über dem Feuer und wendete Maiskuchen, als wäre alles wie immer. Als er daran dachte, wich der Druck vollkommen von seiner Brust, und dann sah er auf, fing den Blick des Enkels auf und bemerkte erst jetzt, dass dieser ihn anstarrte, als hätte er ein Gespenst gesehen.
Und das war es, der Anfang vom Ende: das Wiedererkennen. Der Enkel war das nicht – mit einem heftigen, unerwarteten Ruck zerrte der Strick an ihm –, das, das war doch … er fand keine Worte, die seine Gedanken hätten ausdrücken können, blanke Wut brutzelte in ihm wie Fett in einer heißen Bratpfanne. Er machte drei Schritte vorwärts, schwang die Machete über dem Kopf, und er sah diese Chinesenaugen, die chinesische Nase, den Mund und die Ohren, die wiedergekehrt waren, um ihn heimzusuchen. »Verfluchter Dreckskerl!«, schrie er – oder versuchte es zu schreien, denn die Worte blieben ihm in der Kehle stecken, erdrosselten ihn, der Strick zog sich zu wie eine Garotte, wie zwei Stricke, zwei Garotten … und dann gab etwas in ihm nach, er stürzte nach vorn wie in ein gewaltiges Gewässer, und er spürte, er würde nie wieder nach Luft ringen müssen.
An diesem Morgen – seinem sechsten unter dem Dach der Woosters – war Hiro zum Duft von Eiern, Schinken und gebratenen Tomaten erwacht, außerdem zur Melodie einer vage vertrauten symphonischen Musik, irgendetwas Russisches oder Europäisches. Er schlüpfte in seine frisch gewaschenen Bermudashorts – über Textilien, Taiwan, Korea und Schuhe von Jordache vor sich hin plappernd, hatte Ambly Wooster zuerst versucht, ihm eine Bluejeans ihres Enkels anzudrehen, aber die waren so eng gewesen, dass er den Reißverschluss nicht zubekam –, dann zog er das graue Sweatshirt, die dicken Baumwollsocken und die hohen Nike-Turnschuhe an, die ihm passten, als wären sie für ihn gemacht, und ging gut gelaunt zum Frühstück hinunter.
Die Musik schwoll an, wie um ihn zu begrüßen, und als er um die Ecke in den sonnenhellen Salon bog, erhaschte er einen kurzen Blick auf Dolly, das Hausmädchen, das immer vormittags kam. Sie flitzte davon wie ein Insekt. Die andere, die argwöhnische Verneda, war eine massige, korpulente Erscheinung, doch Dolly war das genaue Gegenteil: ein schmächtiges, neurasthenisches Wesen, das jeden Blickkontakt scheute. Ihre Frisur war ein Wunder ornamentaler Schneidekunst, ihre Haut so beige wie der Schuluniform-Blazer, den Hiro als Junge getragen hatte. Sie verschwand im Esszimmer, sodass Hiro mit seinen Gastgebern allein war, die im Erkerzimmer mit Blick über das Meer beim Frühstück saßen. Er machte einen tiefen Diener. Das Fensterglas schimmerte im Licht, draußen segelten Möwen vorbei. Begleitet von Geigenklängen brandete der Ozean ans Ufer.
»Seiji!«, rief die alte Dame und machte eine verschmitzte Miene, den Kopf etwas schief gelegt, das schelmische Lächeln von einem Lippenstiftfleck verwischt. Er sah, dass sie sich zurückhielt, sich auf die Lippen biss, die Sturzbäche der Banalitäten einzudämmen versuchte, die sonst in jeder wachen Minute ihre Zunge gegen Gaumen, Zähne und Lippen peitschen ließ. » Ohayō «, begrüßte sie ihn auf Japanisch und rang die zuckende Zunge dann noch einmal nieder; die Augäpfel traten
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