Der Samurai von Savannah
aus den Höhlen, mit solcher Kraft stemmte sie sich gegen den Wortschwall.
Er verneigte sich nochmals. » Ohayō gozaimasu «, erwiderte er und machte auch vor ihrem Mann einen Diener. Dieser jedoch bemerkte davon nichts, denn er war blind und taub und klemmte in seinem Rollstuhl wie eine Vogelscheuche auf einem Besenstiel.
Auf dem Tisch standen gebratener Speck, Eier, Toast, Butter, Kaffee, geschmorte Tomatenscheiben und Marmelade. Es war nicht direkt sein Lieblingsfrühstück – er zog eine Portion ochazuke vor, in grünem Tee erwärmter Reis –, aber er konnte sich nicht beklagen. Nicht nach seinem Exil in der Wildnis, nicht nach den Krabben und Grashüpfern und der grässlichen Löffelschleck-Mahlzeit, die er sich aus Kaffeepulver, vegetabilem Kaffeeweißer und künstlichem Süßstoff bereitet hatte. Trotzdem, die Amerikaner machten aus ihrem Essen immer eine solche Schweinerei – servierten es einfach als unförmigen Haufen, ohne jeden Gedanken an Ästhetik und Proportion, als wäre Essen etwas Schändliches –, und wenn er nicht halb verhungert wäre, hätte er die Nase gerümpft. Er zog sich einen Stuhl heran und wollte Platz nehmen.
»Nun – fällt Ihnen denn nichts auf?«, fragte die alte Dame und zitterte richtig von der Anstrengung, die Bedeutungssplitter, den ganzen Schwall von Worten und Silben und Sätzen bei sich zu behalten.
Verwirrt hielt er in der Bewegung inne.
»Die Musik«, sagte sie. »Die Musik, Seiji –«, dann hatte sie sich wieder in der Gewalt. Sie grinste jetzt, ihre gefurchten Zähne waren gelblich-grau und tot, zu groß für ihren Mund.
Und dann begriff er. Die Musik. Es war eine Nummer, die sie extra für ihn aufgezogen hatte. Klassik sagte ihm gar nichts – er mochte lieber moderne amerikanische Musik, Disco und Soul, Michael Jackson, Donna Summer, Little Anthony and the Imperials –, aber er wusste, was sie von ihm erwartete. Und er brauchte die Zeit hier, Ambly Wooster war nett zu ihm, und es machte ihm nichts aus, überhaupt nichts. Er ließ den Stuhl los, trat einen Schritt zurück, sammelte sich und begann dann, mit den ausgreifenden, kräftigen Bewegungen eines Langstreckenschwimmers, so gut er konnte zu dirigieren.
Später, nachdem Barton gefüttert, gewickelt und hinaus an ein schattiges Plätzchen an der frischen Luft gerollt worden war, nachdem Dolly aufgetaucht und wieder verschwunden war wie ein Hausgeist, den nur das allerleiseste Klappern von Geschirr und Besteck verriet, und nachdem Ambly Wooster ihre Kontinente, ihre Ozeane, ihre Wortwelten losgeworden war und sich für ihren Mittagsschlaf zurückgezogen hatte, schlenderte Hiro zum Swimmingpool hinaus, um ein bisschen in Form zu kommen.
Er fühlte sich hier sicher, der Garten war ein umschlossener Ort, auf angemessene, wohlproportionierte Weise bepflanzt. Und das Wasser – am ersten Tag war es trüb gewesen, aber er hatte die Chemikalien gefunden, Chlor und Säuren, die man hineinschütten musste, und über Nacht war es glasklar geworden –, das Wasser beruhigte ihn. Den ganzen Nachmittag hindurch, während die Sonne hoch am Himmel stand und es heißer und heißer wurde, sprang er immer wieder in den Pool und planschte herum wie ein junger Seehund, in der Badehose, die Ambly Wooster ihm gegeben hatte. Und mit jedem Sprung ins Wasser fühlte er sich sauberer, menschlicher, weiter entfernt von Schlamm und Sumpf. Er legte sich zum Trocknen in die Sonne, beobachtete die Möwen, die über den Himmel zogen, und nachdem Dolly mit gesenktem Blick herangeschlichen war, um ihm einen Teller mit Sandwiches und Obst zu bringen, aß er mit stiller Zufriedenheit und einer tiefen, beständigen Dankbarkeit.
Amerika war doch nicht so übel, dachte er nun. Und er gab sich sogar kurz der Fantasie hin, dazubleiben und Seiji zu werden, wer immer das auch war, vielleicht seinen Vater aus dem Telefonbuch herauszusuchen und ihn hierher einzuladen. Sie könnten miteinander schwimmen, er und sein Vater, und gemeinsam, mit viel Konzentration und Geduld, könnten sie Ambly Woosters sprudelndem Monolog Einhalt gebieten und sich gelegentliche Atempausen erkämpfen. Aber er wusste auch, wie unrealistisch dieser Einfall war, dass er nur träumte und seine Gedanken schweifen ließ. Früher oder später würden sie ihn erwischen. Er war auf einer Insel gelandet – ausgerechnet! –, und von dieser Insel musste er wegkommen. Eine Möglichkeit war, sich von der alten Dame auf dem Rücksitz ihres Wagens hinüberfahren zu lassen, aber das
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