Der Samurai von Savannah
Samurai ging er am Fliesenrand des Beckens entlang, zog die Tür der Kabine behutsam auf und verbarg sich in der Dunkelheit des Lattenhäuschens.
Später – viel später –, als die Nacht etwas Greifbares und kein Geräusch mehr zu hören war außer dem Zirpen der Grillen jenseits der Mauern und ein schläfriges Brummen vom Haus her, das über dem Garten, dem Swimmingpool und der Kabine aufragte, kam Hiro heraus. Geräuschlos – nicht eine Welle schlug er – badete er im Pool, wusch die Spuren seiner Flucht ab, die Grasflecken, den Schmutz und den Staub. Dann saß er reglos im Dunkeln, bis er trocken und sein Herzschlag fest und ruhig war. Vorsichtig, umständlich, als wäre es ein Ritual, zog er die Shorts an, streifte sich das Sweatshirt über den Kopf, schlüpfte in die Socken und die ledernen Turnschuhe: Er hatte es nicht eilig. Er hatte einen Plan. Einen einfachen Plan. Ein Plan, der bei dem Häuschen im Wald und der Sekretärin mit den weißen Beinen anfing und endete. Wieder sah er sie vor sich – zum hundertsten Mal –, wie sie in jener Nacht in dem Boot gelegen hatte, ausgestreckt und unbekleidet, und er sah sie an ihrem Schreibtisch, wie sie sich zu ihm herumdrehte, ihm Essen und Unterkunft anbot. Und dann erhob er sich, fand das Gartentor neben dem Haus und stapfte leise über den Rasen. Im nächsten Moment roch er den Teer und spürte die harte, glatte Oberfläche der Straße unter den Füßen.
Spontan bückte er sich, um sie zu berühren. Sie war noch warm.
NOCH IMMER AUF FREIEM FUSS
Jetzt gab es keinen Zweifel mehr: Er würde bei ihr bleiben, unter ihrem Schutz, und zwar unbefristet. Oder jedenfalls bis die Lage sich etwas beruhigt hatte. Er hatte am anderen Ende der Insel, in Tupelo Shores Estates, ein wenig Ärger bekommen, und die Insulaner waren wieder einmal in heller Aufregung. Am Tag nach seiner Rückkehr erschien ein Artikel über ihn auf Seite sechs des Savannah Star – nicht allzu viele Einzelheiten, das nicht, aber sie hatten ihn nicht vergessen: ILLEGALER AUF TUPELO NOCH IMMER AUF FREIEM FUSS lautete die Schlagzeile –, und sofort verbreitete sich das Raunen apokalyptischen Tratsches auf der Insel. Zwei Tage später widmete ihm die Tupelo Island Breeze ihre gesamte Titelseite.
Ruth hätte die Story in der Breeze fast übersehen, wenn Sandy De Haven nicht gewesen wäre. Sie hatte den Tag mit ihrem exotischen Flüchtling verbracht – sie über »Die Tränen und die Flut« brütend, er in einem Taschenbuch mit japanischen Hieroglyphen schmökernd, das er irgendwo gefunden haben musste – und war erst gegen Ende der Cocktailstunde eingetroffen. Sandy stand hinter der Bar im vorderen Salon und mixte Drinks. Zwischen Bob dem Dichter und Ina Soderbord lief nichts mehr – Bobs Frau war übers Wochenende gekommen, und damit war die Sache beendet –, deshalb saß Ina, deren weiße Augenbrauen wie in einer Luftspiegelung nahtlos in weiße Ponyfransen übergingen, an der Theke und himmelte Sandy an. Die anderen waren fast alle schon ins Speisezimmer hinübergegangen, und für diese kleine Gnade war Ruth herzlich dankbar: zumindest blieben ihr so Jane Shine und ihr widerwärtiges silbriges Lachen erspart.
»Hallo, La D.«, sagte Sandy, »was steht an?« Er griff bereits nach dem Wodka, dem Glas, dem Eimer mit glitzerndem Eis.
»Nicht allzu viel«, antwortete Ruth achselzuckend, »viel Arbeit, das reicht ja.« Was sollte sie schon antworten – dass sie einen flüchtigen Verbrecher beherbergte? Sie lächelte Ina an. Ina lächelte zurück.
»Pur mit Zitrone, stimmt’s?«
Ruth nickte, und Sandy reichte ihr das Glas. In den Fenstern spiegelte sich das goldene Licht, und eine Zeit lang stand sie einfach nur da, ließ sich einfangen von der Erfülltheit des Augenblicks. Saxby war irgendwo draußen mit seinen Netzen und Reusen und Angelstiefeln, aber sie würde ihn noch sehen, ehe die Nacht herum war – er hatte es versprochen –, und Hiro war draußen im Studio, mucksmäuschenstill. Wartete auf sie. War abhängig von ihr. Zum ersten Mal seit Tagen fühlte sie sich gut, fühlte sich wie früher. Doch dann drang das Geschnatter aus dem Speisezimmer herüber, und sie musste sich enorm konzentrieren, um Jane Shines grässliches Kichern auszublenden. Als sie das Glas an die Lippen hob, schmeckte der Wodka nur noch säuerlich. Der Augenblick war vorbei.
»Schon gelesen?«, fragte Sandy und schob eine Ausgabe der Breeze über die Theke. Sie betrachtete die Zeitung eine Weile, ehe sie es sah,
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